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taz FUTURZWEI

Berliner Austauschschülerin (16) in Texas Neunzig Prozent Trump

Tito ist vor vierzig Jahren aus Mexiko nach Texas eingewandert und alles ist ziemlich gut für ihn gelaufen. Nun hat er nur eine Sorge: dass zu viele Mexikaner:innen ins Land kommen. Wie kann das sein?

»Don't mess with Texas«: Trucker­Convoy­Kundgebung pro Trump und gegen Einwanderung aus Mexiko in Quemado, Texas, im Februar 2024 Foto: Go Nakamura/Reuters

taz FUTURZWEI | Ich bin bei Tito zum Mittagessen, das Wohnzimmer runtergekühlt auf zwanzig Grad, es gibt die magischen Enchiladas seiner Frau, und Tito doziert mal wieder kopfschüttelnd, dass dieser Biden doch nicht einfach jede:n in sein geliebtes Texas lassen könne. Währenddessen steht seine Frau in der Küche und kocht für alle. Während wir essen, macht sie dann schon mal den Abwasch. Es sei doch total naiv, sagt Tito zu mir, einfach alle, die ins Land wollen, willkommen zu heißen. Und zu hoffen, die Straftäter:innen würden von selbst draußen bleiben. Das ist sein absolutes Lieblingsthema: keine Mexikaner:innen ins Land lassen.

Tito ist mein Gastgroßvater, eigentlich heißt er anders, aber alle nennen ihn Tito. Er ist 71 und vor 40 Jahren aus Mexiko eingewandert. Wir lernten uns Anfang diesen Jahres kennen, während meines Auslandsaufenthalts bei der Familie seines Sohnes in einem Küstenstädtchen am Golf von Mexiko nahe der Regionalmetropole Corpus Christi. Aber auch Corpus ist im Grunde nur eine Ölraffinerie, in der gefühlt auch jede:r arbeitet, und hat ansonsten eine sehr kleine Innenstadt. Tito und seine Frau – alle nennen sie Tita – leben nach traditionellen, also nach patriarchalen Strukturen. Tita schmeißt den Haushalt, kümmert sich um die Enkelkinder, leitet den Kirchenchor, hilft, wo sie kann – und Tito ist eben der Pastor. Er liebt seine Kirche und seine Familie. Dazu gehört auch seine alte Hündin Nieves, auf Deutsch: Schnee. Ansonsten ist er der typische Großvater, trägt immer Hemden, je nach Anlass ärmellos oder mit Krawatte, aber auf keinen Fall kurze Hosen, hat einen kleinen Ziegenbart und geht langsam auf die Glatze zu. Ich verbringe nach der Schule viele Nachmittage bei ihm, und er erklärt der ahnungslosen Europäerin sehr oft und sehr gern, wie die Welt funktioniert. Wie man Tamales zubereitet, wie man giftige Spinnen identifiziert oder warum Donald Trump das kleinere Übel ist.

Feindbild Einwanderer:in

Immer wieder erzählte er auch Geschichten von damals, wie er allein aus Mexiko nach Texas kam, um seiner Frau und seinen Kindern ein besseres Leben ermöglichen zu können. Wie er seine eigene Kirche gründete, für all die mexikanischen Baptisten, die genau wie er in Texas vergeblich nach einer Kirchengemeinde suchten. Titos ganzer Familie ist ihre Religion sehr wichtig und Nächstenliebe auch (solange man die Regeln der Bibel befolgt).

Tito freut sich riesig, als ein neues Restaurant mit mexikanischen Spezialitäten aufmacht, vor allem freut er sich über jedes neue Mitglied seiner kleinen Gemeinde. Doch er hat wie die meisten Texaner:innen Angst, es könnten bald zu viele werden, vor allem zu viele Kriminelle oder sozial Schwache. Dass er damit gleichzeitig auch gegen eingewanderte Kirchenmitglieder oder Restaurantbesitzer:innen ist, blendet er aus.

»MEINE GASTELTERN IN TEXAS LASSEN MICH DIE GANZEN MONATE KEIN EINZIGES MAL ALLEIN AUS DEM HAUS.«

Janne Köder

Ich will nicht übertreiben, aber wenn man sieht, wie er und wie sein Sohn leben, kann man schon den Eindruck kriegen, dass zumindest für diese Einwanderer der amerikanische Traum in Erfüllung gegangen ist. Tito und seine Frau leben in einem für zwei Leute viel zu großen Haus und sind durch die Kirchengemeinde sozial allerbestens aufgehoben und angesehen. Sein Sohn ist 45 und hat vor fünf Jahren meine Gastmutter geheiratet, die damals gerade aus Alabama nach Texas gezogen war. Geld, so erlebe ich das zumindest, ist bei ihnen nie das Problem.

In der Schule höre ich da ganz andere Geschichten von Texaner:innen, die aus Mexiko eingewandert sind. Geschätzt zählt dazu wahrscheinlich die Hälfte meiner Mitschüler:innen. Die Mutter einer Schulfreundin arbeitet bei McDonald’s, sie selbst überlegt, auch dort anzufangen, um sich auch mal Kino und Shoppen leisten zu können. Damit verglichen hatten Tito und seine Familie ganz schön viel Glück. Trotzdem erwähnt er häufig, wie wichtig es sei, an den Grenzen zu Mexiko strengere Kontrollen durchzuführen.

Gesucht: einfache Lösungen gegen die Angst

Ich sollte vielleicht erst mal noch genauer sagen, was ich in den USA mache. Nämlich ein Schüler:innenaustauschjahr. Genauer gesagt ein halbes – von Berlin-Mitte zu einer Gastfamilie in den Süden von Texas. Aus der 10d des John-Lennon-Gymnasiums wurde ich zu einem „Sophomore“ an der Gregory-Portland-Highschool geschickt. Das bedeutet Barbeque, Country-Musik, Waffen und Wüste. Und Slogans wie „Don’t mess with Texas“ oder „Lone Star State“. Darin spiegelt sich die lebensfrohe, gastfreundliche und trotzdem etwas einschüchternde Art der Texaner:innen.

Die Schule ist das amerikanische Highschool-Klischee schlechthin, und ich bereue schon am ersten Tag, meine Haare kurz vor der Abreise türkis gefärbt zu haben. Mindestens dreimal werde ich gefragt, was ich damit aussagen möchte, als wäre es automatisch ein politisches Statement. Dabei habe ich noch Glück: An den meisten Schulen in Texas ist Haarefärben strengstens verboten. In Texas gelten wohl alle mit gefärbten Haaren entweder als queer oder als drogenabhängig oder beides, das war mir als Berlinerin neu.

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Wenn man morgens in die Schule will, muss man durch Metalldetektoren durch. Das ist für meine Mitschüler:innen normal, genau wie die Überwachungskameras an wirklich jeder Haustür. Wöchentlich kriegt man „Amber Alerts“, ein Warnsystem, um Vermisste schneller zu finden. Das sind Push-Nachrichten aufs Handy, in denen mit gelben Ausrufezeichen die vermisste Person und der Umkreis beschrieben wird, in dem sie sich aufgehalten hat. Vermisst heißt oft entführt, und Entführungen gehören in Texas zur Tagesordnung. Auch wenn unser Städtchen eine für Texas verhältnismäßig niedrige Kriminalitätsrate hat: Meine Gasteltern lassen mich die ganzen Monate kein einziges Mal allein aus dem Haus. Auch wenn man nicht dazu neigt, irgendwann kriegt man wirklich Angst, und irgendwann bekomme ich selbst das Gefühl, dass man dagegen doch etwas tun müsse.

Biden ist schuld an allem

Für Tito gibt es da eine naheliegende Lösung: bei den Leuten anzusetzen, die aus seiner Sicht für alles verantwortlich sind, also bei den kriminellen Einwanderer:innen aus Mexiko. Dass die nur einen winzigen Prozentsatz aller Straftäter:innen ausmachen, geht bei unserem Gespräch unter. Seit Joe Biden 2020 die Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump gewann und er und Vizepräsidentin Kamala Harris ins Weiße Haus kamen, ist für Tito und seine Familie fast alles schlechter geworden. Sagt er. Man fühlt sich kaum mehr sicher im eigenen Haus. Sagt er. Man hat Angst um die Enkelkinder. Überall gibt es Kriege. Tradition verliert an Bedeutung. Sagt er. Wegen der Inflation gönnt Tito sich nur noch zu besonderen Anlässen den 4,79-Dollar-Softeisbecher bei Freddy’s. Das ist ihre Lieblingsfastfoodkette.

Während wir in der Küche gemeinsam versuchen, die Zutaten für seine legendäre Soße für die Entomatadas zusammenzukriegen, ich kriege sie einfach nicht so gut hin wie er, erklärt er mir im Detail, was die letzten vier Jahre schiefgelaufen sei. Zusammengefasst: Biden habe einfach nichts verändert und, wenn überhaupt, die Dinge nur noch verschlimmert. „Ich mag Trump auch nicht“, sagt er, nachdem ich ihn auf ein paar aus meiner Sicht hochproblematische Aspekte seiner Politik hingewiesen hatte. Dann erklärt er sofort wieder, warum Biden Schuld ist an der Inflation, den Kriegen, an zerbrechenden Familien und dem schlechten Wetter. Einmal frage ich ihn, woher er das eigentlich alles weiß, denn ich habe ihn noch nie mit einer Zeitung oder einem politischen Magazin gesehen. Er sagt, dass er den Medien sowieso nicht vertraue.

Er informiert sich auf Reddit, auf Twitter, hin und wieder durch Fox News, wenn er wirklich mal etwas genau wissen wolle. Für ihn ist doch ganz klar: Wenn man beide Parteien unterstützt, wie Biden in Israel und Palästina, könne das ja nur in einem Krieg enden. Sein Sohn sieht das genauso. Wenn es nach ihm ginge, solle Amerika sich sowieso weniger an den Krisen der restlichen Welt beteiligen, weil das wohl zu noch mehr Kriegen führt.

»SEIT BIDEN UND HARRIS INS WEISSE HAUS KAMEN, IST FÜR TITO ALLES SCHLECHTER GEWORDEN. MAN HAT ANGST UM DIE ENKEL. SAGT ER. ÜBERALL KRIEGE. SAGT ER.«

Janne Köder

Einmal fragt er mich, wie das für mich war, als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist. Scheiße, antwortete ich ihm (natürlich ohne wirklich zu fluchen, denn das ist unchristlich). Zerstörung, Leid, Kriegsverbrechen und zahllose Tote, nur weil Putin Lust auf Krieg hatte. Die Politik will doch auch, dass Putin als der Böse dasteht, sagt er nach kurzer Stille. Meine Hoffnung, wir zwei wären endlich mal einer Meinung, ist dahin.

„Wenn überall Krieg herrscht, braucht man jemanden, der das Ruder in die Hand nimmt und durchgreift“, sagt Tito. Jemanden, der Politik für Menschen mache und mit dem es wieder bergauf gehe. Ich versuche nachzuvollziehen, wie er diese beiden Dinge mit Trump zusammenbringt, aber es gelingt mir nicht.

Zurück in Berlin kann ich nur hoffen, dass Kamala Harris vielleicht besser ankommt als Biden bei Pastor Tito, seinem Sohn und den anderen. In den meisten Gesprächen war Biden das Problem und nicht die Demokraten als Partei. Aber viel Hoffnung habe ich nicht: Bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen gewann Trump in Texas klar und gegen Hillary Clinton noch klarer als gegen Biden. Und eigentlich gewinnen immer die Republikaner.

Von Argumenten unbeeindruckt

Jetzt stellt sich die Frage: Ist Tito repräsentativ? Mein Onkel fragte mich nach meiner Rückkehr nach Berlin, was denn die anderen Leute in meiner texanischen Umgebung wählen würden.

Ich musste keine Sekunde überlegen. Neunzig Prozent Trump. Zumindest gefühlt. Und das, obwohl ich mehrere Gespräche mit Freund:innen oder Leuten um meine Gastfamilie herum hatte, die Trump wie Tito „eigentlich“ auch nicht leiden können. Einmal unterhalte ich mich mit meiner Freundin Ava während eines Football-Spiels unseres Young-varsity-boys-Teams, das sind die zweitklassigen oder Anfängerspieler. Ein Mädchenteam gibt es übrigens gar nicht. Ava wohnt in einem kleinen Bungalow und fährt jeden Morgen dreißig Minuten zur Schule, weil ihre Familie nichts Bezahlbares finden konnte, das näher liegt. Trotzdem ist sie eine der wenigen fast schon „woken“ Leute, die ich in Texas kennenlerne. Deshalb bin ich umso überraschter, als auch sie mir erklärt, sie hoffe, dass Trump die Wahl gewinne.

„Warum das denn?“, frage ich.

Weil wegen Biden alles teurer geworden sei, deshalb könne sie sich nicht mal mehr Chick-fil-A leisten. Das ist ein „Home of the chicken sandwich“-Restaurant, und mehr wolle sie gar nicht wissen. Außerdem hätte Biden die letzten vier Jahre sowieso nichts verändert – das kommt häufig – und nicht mal die Durchsetzung des Abtreibungsverbotes verhindern können. Auf solche Typen hätte sie echt keinen Bock mehr. Trump dagegen mache Politik für Menschen (das kommt auch ständig) und stehe für schnelle Veränderung.

Dass Trump ganz sicher keine „Politik für Menschen“ mache, verkneife ich mir auch hier und sage auch nicht, dass Biden/Harris die Arbeitslosigkeit deutlich gesenkt haben. Auf solche Argumente stehen sie nicht so und man kommt damit auch nicht gegen ihre Gefühle an – und schon gar nicht gegen ihre texanische Weltsicht. Ich sag es mal so: Vor meiner Schule wehen zwei Fahnen. Die Fahne der USA ist klein, die Fahne von Texas ist riesig. Und das ist kein Zufall, das ist Programm.

■ JANNE KÖDER, 16, ist Schülerin am John-Lennon-Gymnasium, Berlin. Sie publiziert in der taz.

Dieser Text ist zuerst in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34 Euro im Jahr. Lösungen für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten. Jetzt bestellen