Rechtspopulismus in sozialen Netzwerken : Die Polarisierungsmaschine
Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke der großen Plattformen für das massive Erstarken autoritärer und rechtsradikaler Bewegungen?
taz FUTURZWEI | Seit über einem Jahrzehnt vollzieht sich ein massives Erstarken autoritärer und rechtsradikaler Ideen und Akteure. Dazu gehört ein schleichender Verlust in das Vertrauen in Institutionen und demokratische Prozesse und eine Zunahme der polarisierten Freund-Feind-Kultur. Die Bewegung ist global und die Frage lautet: Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke der großen Plattformen, die immer noch nicht ausreichend reguliert sind?
»DIE PRIVATISIERTEN ÖFFENTLICHKEITEN DER DIGITALEN PLATTFORMEN BIETEN DEN RECHTSPOPULISTEN VIELE VORTEILE.« Markus Beckedahl
Überall zeigen sich dieselben Muster: Rechtspopulisten haben sehr häufig erfolgreich den Aufbau von Gegenöffentlichkeiten im Netz geschafft, um an traditionellen Medien vorbei zum Sender zu werden. Am rechten Rand hat sich auch bei uns im vergangenen Jahrzehnt ein neues mediales Ökosystem als Scharnierfunktion zwischen konservativen und rechtsradikalen Ideen gebildet. Und dieses Ökosystem wird in der neuen vernetzten Öffentlichkeit wiederum von vielen kleinen Knotenpunkten von Nutzenden auf den großen Plattformen gestützt.
Parallel erleben wir eine massive Machtkonzentration in der digitalen Welt, wo wenige Unternehmen unsere Infrastrukturen kontrollieren. Und damit die Art und Weise bestimmen, wie wir miteinander kommunizieren, uns informieren und wie sich die Öffentlichkeit auch konstituiert.
Algorithmen bevorzugen polarisierende Inhalte
Das Geschäftsmodell der großen Plattformen besteht darin, unsere Aufmerksamkeit möglichst lange zu binden, um möglichst viele Datenpunkte von uns zu sammeln. Damit können personalisierte Werbeplätze verkauft werden, womit Google, Meta, TikTok und Co. ihr Geld verdienen. Ein gesellschaftlicher Kollateralschaden dieses Geschäftsmodells ist, dass polarisierende Inhalte von den algorithmischen Entscheidungssystemen bevorzugt und in den Timelines der Nutzenden sichtbar gemacht werden. Diese privatisierten Öffentlichkeiten ermöglichen durch ihre Funktionsweise Rechtspopulisten viele Vorteile in der Kommunikation. Wer mit einfachen Argumentationen dagegen ist und es mit der Wahrheit auch nicht so richtig ernst nehmen muss, ist fast automatisch auf der Gewinnerseite der schönen neuen Plattform-Welt.
Über viele Jahre haben rechtsradikale Akteure Erfahrungen mit der Verbreitung ihrer Ideologien gesammelt. Tabubrüche und Provokation gehören ebenso zur Klaviatur wie die Verwendung von sogenannten Memes. Dadurch werden rechtsextreme Codes transportiert und Kommunikation vereinfacht. Der Erfolg dieser »Dogwhistle-Strategie« zeigte sich leider eindrucksvoll bei der Umdichtung des populären Partyliedes L’amour toujours, das mit dem sogenannten Sylt-Video einer nationalen und globalen Öffentlichkeit bekannt wurde.
Diese Kommunikationsstrategien generieren Emotionen, verlocken zu Interaktionen, schaffen noch mehr Datenpunkte. Bestätigt wird das eigene Glaubenssystem, man ist entweder dafür oder dagegen. Unterstützt wird das durch eine Vielzahl an ideologisch motivierten Glaubenskriegern, die, davon kann man ausgehen, häufig mit verschiedenen parallelen Accounts als Scheinriesen auftreten und alles liken und kommentieren. Unterstützt werden diese immer wieder durch Troll-Armeen aus Staaten wie Russland, deren Propaganda-Ziel es ist, Unsicherheit zu streuen. Jeder einzelne Klick kann dabei ein bisschen unterstützen.
Jede Gegenrede stärkt die Verbreitung
Wer auf den Plattformen Gegenrede betreibt, sich, zum Beispiel, mit Zivilcourage gegen diffamierende Aussagen stellt, stärkt wiederum paradoxerweise die Verbreitung. Denn die algorithmischen Entscheidungssysteme lieben Interaktion. Konstruktive Beiträge, die abwägen und wichtig für eine Debatte sind, haben dagegen einen entscheidenden Nachteil: Sie gehen in der Regel an den Kopf und nicht an den Bauch. Ein Teufelskreis.
Die Plattformen agieren größtmöglich intransparent und lassen sich ungern in den Maschinenraum schauen. Keine Branche investiert mehr in Lobbying als Big Tech, sie verhindern damit häufig effektivere Regulierung ihres Geschäftsgebarens. Die Kontrolle über die Mechanismen unserer Kommunikation und ihre Auswirkung auf die Bildung von vernetzten Öffentlichkeiten sowie unsere Nutzungsdaten auf den Plattformen bieten auch viele strategische Vorteile.
taz FUTURZWEI – das Magazin, Ausgabe N°30: Wer ist das Volk? – Und warum ist Rechtspopulismus so populär?
Warum der Rechtspopulismus global und in Ostdeutschland so erfolgreich ist, können wir analysieren. Wie man ihn bremsen kann, ist unklar.
Diesmal im Heft: Jens Balzer, Ines Geipel, Jagoda Marini , Maja Göpel, Aladin El-Mafaalani, Thomas Krüger, Yevgenia Belorusets, Danyal Bayaz und Harald Welzer. Veröffentlichungsdatum: 10. September 2024.
Paradebeispiel hier war die Übernahme der globalen Kommunikationsplattform Twitter durch den US-Milliardär Elon Musk. Früher gesperrte Nazi-Accounts wurden entsperrt, Content-Moderator:innen im großen Stil entlassen und seitdem tobt sich auf der umbenannten Plattform X ein hasserfüllter Mob aus, angefeuert durch das Vorbild Elon Musk. Dieser zeigte durch sein eigenes Kommunikationsverhalten, dass er rechtsradikalen Verschwörungsideologien sehr aufgeschlossen gegenübersteht und eine Diskursverschiebung nach Rechtsaußen keinen Kollateralschaden seines Kaufes darstellte, sondern Teil der Strategie ist. Aber auch TikTok steht in der Kritik, weil hinter dem Unternehmen die Interessen der chinesischen Regierung stehen und diese ein Interesse an einer Destabilisierung westlicher Demokratien durch die Verbreitung von Desinformation hat.
Notwendige Steigerung von Digitalkompetenzen
Die Mechanismen der Plattformen sind das eine. Unser Kommunikationsverhalten ist das andere. Wir alle sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auch zum Sender geworden. Lange haben wir als Gesellschaft gehofft, dass die dafür notwendige Medien- und Digitalkompetenzen beim Kauf von Smartphones automatisch vom Himmel fallen. Mittlerweile nutzen wir das eingebaute Fernseh- und Radiostudio auf vielen Plattformen, um uns mit anderen mal mehr oder weniger mündig auszutauschen. Das bereichert unser Leben, bindet aber auch massiv unsere Aufmerksamkeit.
Der »mündige digitale Bürger« braucht heute fast schon ein halbes Informatik-, Journalismus- und Jurastudium samt ständiger Motivation zum lebenslangen Lernen, um souverän durch das Netz navigieren zu können. Aber das ist häufig zeitaufwendig und die Zeit dafür zu haben ein Privileg.
6. bis 9. Juni: Europawahl
Problem: Nationalkonservative (EKR), Natio-
nalisten und Rechtspopulisten (PfE), Rechtsex-
treme (ESN) mit klaren Stimmengewinnen
1. September: Landtagswahl Sachsen und
Thüringen
Problem: AfD holt rund ein Drittel der Stimmen, erlangt Sperrminorität
22. September: Landtagswahl Brandenburg
Problem: AfD holt rund ein Drittel der Stimmen, erlangt Sperrminorität
29. September: Nationalratswahl in Österreich
Problem: Die FPÖ – rechtspopulistisch, deutsch-
national, EU-skeptisch und rechtsextrem –
gewinnt die Wahl
5. November: Präsidentschaftswahl in den USA
Problem: Donald Trump
Um gegen Desinformation vorzugehen, kann eine Steigerung von Digitalkompetenzen helfen. Sie ist sogar dringend notwendig, um viele Kollateralschäden und negative Nebenwirkungen in unseren vernetzten Öffentlichkeiten zu vermeiden. Aber fehlende Digitalkompetenzen können auch nur zu Teilen als Ursache herangezogen werden. Vielen Menschen ist immer noch nicht ausreichend bewusst, dass sie zum »Sender« geworden sind und damit auch eine publizistische Verantwortung haben. Ein schnelles Weiterleiten auf WhatsApp oder Facebook, wenn eine empörende Nachricht einen erreicht hat, passiert oft, ohne den Kopf einzuschalten.
Desinformation im Dienst der eigenen Sache
Die aktuelle Forschung zeigt auch, dass ein Teil der Verteilenden von Desinformation die falschen Nachrichten bewusst verteilt. Das hat häufig Identitätsgründe: Man versteht sich als Teil eines Stammes, einer Partei, einer Ideologie, einer Denkrichtung und erhofft sich einen politischen Vorteil für die eigene Sache. Das wird in Kampagnen ausgenutzt.
Teilweise liegen die Antworten auf die Desinformationskrise in der digitalen Welt. Oft sind die Ursachen aber analog. Die notwendige Modernisierung unserer Gesellschaften hat eine damit verbundene kulturelle und ökonomische Verunsicherung im konservativen Spektrum mit sich gebracht. Die beliebten Genderdebatten bieten Ankerpunkte für identitätspolitische Verortung. Der praktische Nebeneffekt ist, dass diese von ökonomischen Debatten und Fragen ablenken, wie wir unsere Daseinsvorsorge gestalten und marode Infrastrukturen instand setzen.
Und doch gibt es die digitale Ebene. Wir haben uns als Gesellschaften von wenigen Unternehmen abhängig gemacht, die unsere Öffentlichkeiten kontrollieren, deren Marktmacht dafür sorgt, dass Vielfalt und Wettbewerb immer weiter eingeschränkt werden und die wir nicht ausreichend demokratisch kontrolliert bekommen.
Halbherzige Regulierung von Big Data
Große Hoffnungen liegen auf dem europäischen Weg der Regulierung. Die Europäische Union hat in den vergangenen zehn Jahren einige Gesetze zur sogenannten Plattformregulierung beschlossen. Dazu gehören die Datenschutzgrundverordnung, die unlängst in die Durchsetzung gestarteten Digitale-Dienste- (DSA) und Digitale-Märkte-Gesetze (DMA) sowie der aktuell beschlossene AI Act für »künstliche Intelligenz«.
»DER ÜBERWACHUNGSKAPITALISMUS, DER JEDEN UNSERER KLICKS FÖRDERT UND ÜBERWACHT, IST DER NÄHRBODEN FÜR HASS, HETZE UND DESINFORMATION.« Markus Beckedahl
Unklar ist immer noch, ob die neuen Rahmenbedingungen ausreichend sind oder die Umsetzung zu halbherzig angegangen wird. Paradebeispiel hierfür ist die Datenschutzgrundverordnung. Die irische Datenschutzbehörde ist für die Durchsetzung gegenüber den in Irland ansässigen US-Big-Tech-Unternehmen zuständig. Hier kollidieren aber nationale Interessen rund um die Ansiedlung ausländischer Unternehmen wie Steuereinnahmen und Arbeitsplätze mit der Durchsetzung unserer europäischen Datenschutzrechte. Die Folge ist, dass die Behörde mal mehr oder weniger von den Behörden der anderen Mitgliedsstaaten zu ihrer Aufgabe getragen werden muss – wenn das überhaupt gelingt.
DSA und DMA werden erst seit Kurzem gegenüber den großen Unternehmen von der EU-Kommission durchgesetzt und hier ist vollkommen offen, ob die beschlossenen Regeln ausreichend sind, wie sie letztendlich von Gerichten interpretiert werden, und ob die Regulierungsinstanzen ausreichend Personal haben. In Deutschland hat die Bundesnetzagentur die nationale Federführung. Für den Start hat sie etwas mehr als zwei Dutzend Angestellte im Haushalt bewilligt bekommen. Das ist viel zu wenig, hier braucht es deutlich mehr Anstrengung, um es mit den mächtigsten Unternehmen der Welt aufnehmen zu können.
Wir müssen digitale Öffentlichkeiten weiterentwickeln
Hoffnungen der Regulierungsinstanzen liegen auch in einer Zusammenarbeit mit einer kritischen und kompetenten digitalen Zivilgesellschaft und Wissenschaftler:innen. Hier gibt es tatsächlich viel Potenzial, zum Beispiel in der gemeinsamen Erforschung der Mechanismen der Plattformen, die derzeit Blackboxen sind. Hier sind aber neue Finanzierungswege notwendig, damit nicht chronisch unterfinanzierte Nichtregierungsorganisationen oder prekär bezahlte Forschende die Arbeit machen, für die die europäischen Staatshaushalte kein Geld locker machen. Ein neu zu schaffender Regulierungsfonds, finanziert von den betroffenen Unternehmen, Mitgliedsstaaten und EU-Kommission, könnte hier den Rahmen schaffen, mehr Kompetenz einzubinden, mehr Licht ins Dunkel zu bringen und informiertere Regulierungsentscheidungen zu ermöglichen.
Der entscheidende Punkt ist: Wir müssen digitale Öffentlichkeiten weiterentwickeln, um uns aus diesen privatisierten Öffentlichkeiten zu befreien. Wir brauchen mehr kompetente Gedanken, wie wir eine gemeinwohlorientierte digitale öffentliche Infrastruktur schaffen können, um die öffentliche Debatte und damit die Demokratie zu stärken. Diese Infrastrukturen fallen nicht vom Himmel, sie brauchen Investitionen und neue Finanzierungswege, um die kritische digitale Infrastruktur der digitalen Öffentlichkeiten unabhängig von wenigen Unternehmen zu schaffen und zu betreiben.
Vor allem gehen wir bisher nicht an das Kernproblem ran: Das ist Geschäftsmodell der personalisierten Werbung. Der Überwachungskapitalismus, der jeden unserer Klicks fördert, überwacht und kontrolliert, ist der Nährboden für Hass, Hetze und Desinformation und ermöglicht skrupellosen Akteuren das Bespielen der Mechanismen. Ein Verbot dieses Geschäftsmodells wäre möglich, findet aber bisher keine Mehrheiten. Eine Reform des Werbemarktes ist eine der wichtigsten Aufgabenstellungen für die gerade beginnende europäische Legislaturperiode.
Zusammengefasst kann man sagen: Der Nährboden des globalen rechtspopulistischen Wachstums ist Vertrauensverlust von Menschen in die Demokratie. Aber der Treiber der Polarisierung ist das Geschäftsprinzip der digitalen Netzwerke. Würde man die Netzwerke abschalten, wäre das gestörte Vertrauen immer noch da, aber nicht die Geschwindigkeit der Polarisierung. Wir haben es uns viel zu lange gemütlich gemacht in den Kommunikationsräumen der großen Plattformen. Eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich. Dafür einzutreten ist nie zu spät. 🐾
■ MARKUS BECKEDAHL ist Mitinitiator der Konferenz Re:Publica zu Fragen der digitalen Gesellschaft und Gründer der Nachrichtenwebsite netzpolitik.org.
Dieser Text ist zuerst in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34,90 Euro im Jahr. Lösungen für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten. Jetzt bestellen