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Berliner AdventskalenderLevetzowstraße 20

In dem Eckladen, der sich etwas großspurig "Flower Factory" nennt, wird die "Kunst floraler Gestaltung" ausgeübt.

Bild: Rene Hamann

Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte Tür öffnen - und sich überraschen lassen.

Ein Blumenladen? Ein Blumenladen. Warum auch nicht? Es gibt Leute, die gehen ständig in so einen Laden. Andere, die mit romantischen Vorstellungen schon früh abgeschlossen haben oder abschließen mussten, betreten natürlich äußerst selten so ein Geschäft. Um die Weihnachtszeit herum vielleicht, um Mutter oder Großmutter eine Freude zu kaufen. Oder wenn sonstige bürgerliche Zwänge aufkommen, man zu Hochzeiten oder zu einer Erstkommunion geladen ist.

In der Levetzowstraße 20 gibt es einen Eckladen, der sich etwas großspurig "Flower Factory" nennt. Hier wird die "Kunst floraler Gestaltung" ausgeübt, wie auf einem Schild zu lesen steht. Hier gibt es Eventfloristik, Hochzeitsfloristik, Trauerfloristik und sonstige florale Geschenke. Im Laden müffelt es etwas; statt Buntheit herrscht so ein dringliches Rot vor, ein dunkles Weinrot.

Um die Ecke stehen dann weiße Blumen. Rotweiß, das sei halt die weihnachtliche Kombination, erklärt die freundliche Frau, die den Laden schmeißt. Also sieht der Laden rotweiß aus. Welche Blumen gehen denn so zu Weihnachten? Koniferen, sagt sie, Zapfen, Kiefern, Amaryllis. Koniferen sind Kiefernartige. Klar. Amaryllis sind hübsche, helllila Blumen, so genannte Rittersterne. Aha. Und was noch? Na, die Christrose. Und allen voran natürlich der Weihnachtsstern. Macht sich immer gut, so zu Weihnachten.

Ansonsten könne man natürlich auch Rosen kaufen, sagt die freundliche Frau, Rosen gehen bekanntlich immer. Und was passiert nach Weihnachten, wird da umgestellt? Ja, natürlich, da fliegt das Programm raus. Weihnachtssterne werden dann keine mehr verkauft. Wer einen umsonst abgreifen möchte, sollte also nach Weihnachten kommen.

Der Laden wirkt wie viele Blumenläden ein bisschen gedrungen und dunkel. Die Belegschaft hört einen Regionalsender, nach irgendeiner abscheulichen Musik laufen die Simple Minds, "Dont You Forget About Me", was mich an frühe Freundinnen erinnert. Eine weitere, diesmal männliche Fachkraft bedient zwei junge Frauen in der weißen Abteilung. Es gibt sie also noch, die romantische Idee eines Blumenkaufs. Die beiden jungen Frauen beugen sich über ein paar Blumen. Sieht nett aus. Im Durchschnitt gibt Normalkunde übrigens so 15 Euro aus, für einen Strauß oder ein Pflänzchen.

Die "Flower Factory", übrigens keine Kette, sondern ein Indie-Blumenladen, gibt es hier seit sieben Jahren. Die Levetzowstraße 20 hat aber noch mehr zu bieten. Eine Glaserei nämlich und ein Geschäft für "Pelz & Ledermoden". In der Glaserei hat man von der taz noch nie etwas gehört. Dafür hängt ein Glaskunst-Weihnachtsmann für 1.000 Euro an der Wand. Glückwunschkarten kann man hier auch kaufen. Die Frau hinter der Theke berlinert heftig, aber das hat die Frau im Blumenladen auch getan. Hier scheint Berlin noch in Ordnung, heißt: seit 50 Jahren im selben Zustand oder sogar seit 80. Auf den Klingelschildern finden sich nur deutsche Namen.

Das Haus selbst ist ein etwas plumper Altbau auf der Ecke zur Jagowstraße. In den so gedrungen wie wuchtigen Balkons oben stehen kleine Tannenbäume oder Weihnachtsmänner aus Plastik. Schaut man von hier aus die Levetzowstraße nach links, sieht man die Goldelse schimmern.

Es ist eine etwas verlorene Ecke im vergessenen Stadtteil Moabit. Es gibt hauptsächlich Durchgangsverkehr, nur ein paar verstohlene Passanten gehen in Richtung der Bushaltestelle oder zur Spree, um einen nachdenklichen Spaziergang zu machen. Ich folge ihnen.

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