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■ BerlinalienDer Wahnsinn in legalen Bahnen

Martin Luther King hatte bekanntlich einen Traum. Der Berliner Thomas T. hatte auch einen. Der 27jährige träumte davon, ein einziges Mal mit einem Ferrari über die Avus zu brausen. Ehefrau Gabi T. hat ihm seinen Lebenswunsch erfüllt, wie die Boulevardpresse der Hauptstadt in ungewohnt pietätvoller Sprache kürzlich berichtete. Gabi T. nämlich nahm die Urne mit der Asche ihres an Magenkrebs verstorbenen Gatten, packte sich und das silbrigglänzende Gefäß in einen roten Ferrari und steuerte das geliehene Luxusauto über die Avus zum Friedhof.

Die Geschichte könnte so tröstlich sein für alle minderbemittelten Freunde italienischer Sportwagen, bliebe da nicht dieser Schönheitsfehler: Der Lebenswunsch ging eben doch zu spät in Erfüllung. Schon die Boulevardzeitung BZ merkt nicht ohne Sinn für Metaphorik zu Thomas T.s frühem Ende und drängenden Träumen an: „Der Tod war schneller.“

Längst nicht mehr so langmütig wie Thomas T., was die Erfüllung spritfeuchter Träume angeht, ist man im brandenburgischen Umland der Hauptstadt, wo man nach drei Jahren Warten auf die versprochene blühende Industrielandschaft ungeduldig geworden ist. Das Volk bewegt sich dort jetzt sehr schnell und nicht immer in gesetzlichen Bahnen. In Mahlow an der südlichen Stadtgrenze Berlins sammeln sich Wochenende für Wochenende bis zu 2.000 Fans, um Manta-, GTi und BMW-Fahrer zu illegalen Wettfahrten anzufeuern. Nachts jagen sich die Helden mit 200 Stundenkilomter über vierspurige Umgehungsstraßen. Polizeibeamte, die den halsbrecherischen Fahrten vor johlender Menge ein Ende machen wollten, mußten vor der PS-besoffenen Übermacht kuschen, als Flaschen und Bierdosen flogen. An den folgenden Wochenenden aufgebaute Polizeisperren wurden rasant abgeräumt. Nun sind an jedem Wochenende eine Hundertschaft und ein Hubschrauber im Einsatz und jagen die Raser, die ihren Standort ständig wechseln.

Die Nachricht aus Mahlow rief die Propagandisten des automobilen Gesamtwillens auf den Plan. Der ADAC-Landesverband Berlin-Brandenburg plant seit langem schon eine Formel-1- Rennstrecke in der Umgebung Berlins. Nun will der Club die illegale Umlandraserei, an der auch viele Berliner teilnehmen, in eine legale Umlandraserei umwandeln. ADAC-Sekretär Gerhard Gottlieb träumt schon von Eintrittsgebühren und Urkunden für Gewinner. Als ideale Piste für die ADAC-Sozialpflege hat er eine ehemalige Rennbahn der Stasi in der Nähe Berlins ausgemacht. Der ADAC-Mann, die Augen immer am Drehzahlmesser der Gesellschaft, gibt sich als Psychologe. Die Jugendlichen wollen beschäftigt sein, meint er nicht ohne drohenden Unterton: „Lieber einen Liter Benzin durch den Auspuff jagen, als einen Liter Benzin in Molotowcocktails abfüllen.“ Wer wollte dem Mann da noch widersprechen? Hans Monath

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