Berlinalie: Biermann ins Museum?
■ Oder: Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit
Wolf Biermann zieht es von der Alster an die Spree. Der Liedermacher und Büchnerpreisträger möchte an den Ort des einstigen Wirkens zurück, von dem er mit seiner Ausbürgerung 1976 vertrieben wurde: die Chausseestraße 131 in Berlin-Mitte.
Bei diesem Ansinnen wird Biermann von alten Freunden unterstützt, die wie Bärbel Bohley prominente Vertreter der DDR-Bürgerbewegungen sind. Mit Transparenten im Berliner Parlament wollen sie Druck auf den Senat ausüben. Der soll sich nämlich für Biermanns Rückkehr stark machen. Neue Freunde, wie der Möchtegern- Kultursenator der CDU und nunmehrige Biermann-Advokat, Uwe Lehmann-Brauns, gesellen sich dazu. Gewichtigstes Argument zu Biermanns Gunsten: die Wohnung am Oranienburger Tor sei „ein zentraler Ort der DDR-Opposition“ gewesen. Das schon allein deshalb, weil hier illegale Tonaufnahmen des Liedermachers gemacht wurden. Jürgen Fuchs spricht darum öffentlich von einem „Museum der DDR-Opposition“, das dort entstehen soll. Um die höheren Weihen der Geschichte auch richtig zum Ausdruck zu bringen, wurde zum diesjährigen Jahrestag der Biermann-Ausbürgerung an der einstigen Bleibe eine Gedenktafel enthüllt. „Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“.
Die Sache hat nur einen Haken: Biermanns alte Wohnung steht nicht leer. Sie ist 1990 von der Wohnungsbaugesellschaft ganz regulär vermietet worden. Und das ausgerechnet an Hanno Harnisch, den Pressesprecher des PDS-Bundesvorstandes. Damit erst wird das Anliegen um Biermanns Rückkehr zum Kampf für die gerechte Sache. Und gerecht, daran lassen die Bürgerbewegten keinen Zweifel, kann nur sein, daß Harnisch seinen gültigen Mietvertrag zerreißt, in Asche und Sack den sakralen Ort verläßt und ihn seinem „rechtmäßigen“ Bewohner übergibt.
Denn Harnisch ist schuld. Obwohl er nie Mitglied der SED war und erst seit 1990 für die PDS arbeitet, soll er nun für alle Machenschaften der Partei in den letzten 40 Jahren geradestehen. Daß Harnisch 1976 gegen die Ausbürgerung Biermanns protestierte und deswegen vom Studium zur „Bewährung in der Produktion“ relegiert wurde, spielt da keine Rolle. Mehr noch: In einer Presseerklärung des Neuen Forum wird Harnisch auf eine Stufe gestellt mit ehemaligen hochrangigen Stasi-Offizieren, die sich nach der Wende unter dubiosen Umständen Grundstücke unter den Nagel gerissen haben. Daß das Neue Forum damit öffentlich für die Vertreibung ordentlicher Mieter aus ihren Wohnungen eintritt, ist freilich auch unter Bürgerbewegten nicht unumstritten. Denn unter ihnen gibt es Leute, die vor 17 Jahren auch gegen Biermanns Ausbürgerung protestierten, ohne heute fragwürdigen Symbolen oder neuerlichen Spielarten des Personenkults nachzuhängen. Wenn sie das allerdings öffentlich sagen, wie zum Beispiel in der letzten überlebenden Oppositionszeitung Telegraph, werden sie, die „Andersdenkenden“ von Jürgen Fuchs des „wichtigtuerischen Herumgewichses“ geziehen. So wird aus der Posse ein Treppenwitz der Gegenwart. Wolfram Kempe
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