Berlinale würdigt Lebenswerk: Goldener Ehrenbär für Lanzmann
Claude Lanzmann erhält den Goldenen Ehrenbären der nächsten Berlinale. Im Mittelpunkt seines Lebenswerks steht „Shoah“, ein bahnbrechender Film.
BERLIN taz/dapd | Claude Lanzmann erhält für sein Lebenswerk den Goldenen Ehrenbären der nächsten Berlinale. Die Filme des 87 Jahre alten, französischen Dokumentarfilmers werden im Rahmen einer Hommage gezeigt, man hat also Gelegenheit, „Warum Israel“ (1973), „Tsahal“ (1994), „Ein Lebender geht vorbei“ (1997), „Sobibor, 14. Oktober, 16 Uhr“ (2001) und „Der Karski-Bericht“ (2010) wieder zu sehen.
Im Mittelpunkt von Lanzmanns Werk steht ohne Frage „Shoah“, ein bahnbrechender Film, den die Berlinale in restaurierter und digitalisierter Fassung präsentieren wird. „Shoah“ dauert 540 Minuten und besteht aus zahlreichen Gesprächen mit Überlebenden der Nazi-Vernichtungspolitik, aber auch Täter kommen zu Wort, mit versteckter Kamera etwa filmt Lanzmann den SS-Unterscharführer Franz Suchomel und dessen abstruse Selbstrechtfertigungen. Auch viele Unbeteiligte, die damals Zeugen etwa von Deportationen wurden, treten auf.
Zum Teil lässt Lanzmann die Akteure nachspielen, was sie im Konzentrationslager erlebten, berühmt (und aus heutiger Sicht durchaus problematisch) ist eine Art Re-Enactment, bei dem der Friseur Abraham Bomba, während er einem Kunden die Haare schneidet, davon berichtet, wie er den KZ-Häftlingen die Köpfe scheren musste, bevor sie in die Gaskammern gezungen wurden. Was Lanzmanns Film gelingt, ist, darzulegen, aus welchen Einzelhandlungen der Holocaust sich zusammensetzte, wie das, was so oft als unbeschreiblich bezeichnet wird, funktionieren konnte.
Lanzmann wurde 1925 als Sohn jüdischer Eltern in Paris geboren. Er kämpfte im Widerstand der Résistance und studierte in Frankreich und Deutschland Philosophie. Im Wintersemester 1948/49 war er Dozent an der neugegründeten Freien Universität Berlin. Später arbeitete er auch als Journalist; auf Jean-Paul Sartres Wunsch wurde er verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Les Temps Modernes“. Seine Autobiografie, „Der patagonische Hase“, ist 2010 auf deutsch erschienen.
Für Dieter Kosslick, den Direktor der Berlinale, ist Lanzmann „einer der großen Dokumentaristen. In seiner Darstellung von Unmenschlichkeit und Gewalt, von Antisemitismus und seinen Folgen hat er eine neue filmische wie ethische Auseinandersetzung geschaffen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!