Dass sich Regisseur und Schauspieler umarmen, wenn sie nach einer Vorführung vor das Publikum treten, ist obligatorisch: Vertrautheit markieren gehört zum Geschäft. Hier jedoch ist etwas anders, was nicht nur daran liegt, dass wir uns im Kino Hackesche Höfe bei der „Woche der Kritik“ befinden. Die letztes Jahr vom Verband der Filmkritik ins Leben gerufene „Woche“ versteht sich als diskursfreudige Gegenposition zur offiziellen Berlinale,- dem demonstrative Professionalismus ist heruntergefahren, die Stimmung ist familiär.
Nein, wenn der französische Regisseur Philippe Grandrieux nach der Vorführung von „Malgré la nuit“ seine Schauspielerin Ariane Labed in den Arm nimmt, dauert das lange, ist intensiv, innig: Zwei Schicksalsgenossen, die was hinter sich gebracht haben.
Labed zittert am ganzen Leib. Sie habe den Film gerade selbst zum ersten Mal gesehen, sagt sie, und fühle sich nun sehr nackt, auch weil das so intensiv für sie gewesen ist – die Vorführung, wohlgemerkt. Noch eine halbe Stunde später, sehe ich von der ersten Reihe aus, spielt sie nervös mit den Fingern, die vor Aufregung so rot sind wie zuvor im Film in einer besonders intimen Szene.
Im Körper weiterarbeiten
Berlinale 2016
Der „Goldene Bär für den besten Film“ ging an „Fuocoammare“. Der Preis ist ist die höchste Auszeichnung der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. „Fuocoammare“ hält das Leben der Menschen auf Lampedusa fest. Er wurde erstmals am 13. Februar im Wettbewerb der Berlinale gezeigt.
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Blitzlichtgewitter, ein selbstfahrendes Auto und jede Menge Stars – das war die Berlinale 2016. Am Sonntag geht sie zu Ende.
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Silberne Bären bekamen Majd Mastoura als „Bester Darsteller“ in „Inhebbek Hedi“ und Trine Dyrholm als „Beste Darstellerin“ in „Kollektivet“ (v.l.). Außerdem erhielt Danis Tanovic den „Silbernen Bären Großer Preis der Jury“ für seinen Film „Smrt u Sarajevu“. Der „Silberne Bär Alfred-Bauer-Preis“ ging an den Film „Hele Sa Hiwagang Hapis“ von Lav Diaz.
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Preisträgerin Mia Hansen-Love ist glücklich über ihren Silbernen Bären für die beste Regie von „L'avenir“. Auch Tomasz Wasilewski erhielt einen für das Beste Drehbuch von „United States of Love“. Auch Mark Lee Ping-Bing konnte sich glücklich schätzen: Er erhielt einen „Silbernen Bären für eine Herausragende Künstlerische Leistung“ in „Crosscurrent“.
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Kameramann Michael Ballhaus hat den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk bekommen. Sein Markenzeichen: 360-Grad-Kamerafahrten. Bei der Preisverleihung wurde auch „Gangs of New York“ mit Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz gezeigt.
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Meryl Streep erhielt 2012 auch einen Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. Die dreifache Oscar-Gewinnerin war in diesem Jahr die Präsidentin der internationalen Jury. Diese verleiht den Goldenen und den Silbernen Bären der Berlinale. Die US-Schauspielerin ist derzeit im Film „Suffragette“ zu sehen.
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Nur durch seine bloße Anwesenheit stach George Clooney bei der Eröffnung der Berlinale am 11. Februar hervor. Selfies mit Fans zu machen gehört zur Berlinale einfach dazu. Clooney spielt die Hauptrolle im Film „Hail, Caesar!“ und zeigte sich mit seiner Frau Amal Alamuddin auf dem Roten Teppich. Am 12. Februar sprach er mit Kanzlerin Angela Merkel über die Flüchtlingskrise.
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In „Hail, Caesar!“ mimt George Clooney den Hollywoodstar Baird Whitlock. Der Film von den Coen-Brüdern entführt den Zuschauer in eines der großen Filmstudios im Hollywood der frühen Fünfzigerjahre. 2011 eröffneten die Coens bereits mit „True Grit“ die Berlinale. „Hail, Caesar!“ ist seit dem 18. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.
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Der deutsche Filmstar Daniel Brühl erregte ebenfalls Aufsehen, als er zur Eröffnungsgala der Berlinale in einem selbstfahrenden Auto erschien. Zudem spielt er im Berlinale-Film „Alone in Berlin“ einen Kommissar, der die Herkunft von Anti-Hitler Postkarten aufdecken soll. Mit Emma Watson ist Brühl abseits der Berlinale auch im Kinofilm „Colonia Dignidad“ zu sehen.
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Der Künstler Ai Weiwei hat am 13. Februar das Berliner Konzerthaus mit Rettungswesten von der griechischen Insel Lesbos einkleiden lassen. Damit will er auf die Flüchtlinge, die auf ihrer Flucht nach Europa ertrunken sind, aufmerksam machen. Ai Weiwei ist Ehrenpräsident des „Cinema for Peace“, das zeitgleich zur Berlinale stattfand.
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Der einzige deutsche Film im Wettbewerb heißt „24 Wochen“. Was macht ein Paar, bei dessen ungeborenem Kind Trisomie 21 diagnostiziert wird?
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Außerdem war im Wettbewerb: der Film „Chang Jiang Tu“. Kapitän Gao Chun fährt mit seinem Frachter auf dem chinesischen Jangtse flussaufwärts. Er soll die Seele seines verstorbenen Vaters befreien und ist gleichzeitig auf der Suche nach der großen Liebe. Der Film ist am 21. Februar im Haus der Berliner Festspiele zu sehen.
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Johnny Oritz ist erst 19 Jahre alt und hat bereits seine erste Hauptrolle im Film „Soy Nero“, der im Wettbewerb gezeigt wurde. Darin verkörpert er den mexikanischen Jungen Nero, der US-Bürger werden will. Oritz hat eine besondere Verbindung zum Thema: Seine Familie ist auch in die USA migriert.
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Der Schauspieler Gérard Depardieu bewarb am Freitag „Saint Amour“. Der Film gewann keinen Bären, er lief außer Konkurrenz.
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Über den Abspann hinaus bildet dieser Film ein Kontinuum: Dazu passt, dass die Autorin Pamela Pianezza im anschließenden Gespräch anmerkt, dass Grandrieux Rahmungen jeglicher Art überschreitet. Auch der Regisseur selbst versteht seine Filme nicht fixiert, sondern als Impulsstifter.
Körperkino – das ist ein Kino, das in den Körper fährt, dort weiterarbeitet, wie an Labed zu sehen. In der Diskussion spricht der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger auch von „performativem Kino“. Grandrieux rührt an die Grenzen der Belastbarkeit seines Publikums und seiner Schauspieler.
Was sich auf dem Papier wenig interessant liest – „Malgré la nuit“ handelt von Liebesverstrickungen junger Franzosen mit einem guten Schuss Sadomasochismus –, ist in der Umsetzung eine mitunter frei improvisierte Digitalkino-Meditation über Intimität und körperliche Texturen. Als hätte der verkiffte Sexfilm-Freejazzer Jess Franco einen Digitalfilm mit Gaspar Noé gedreht. Ariane Labed geht bis zum Äußersten, gibt sich der Extreme-Close-up-Kamera bemerkenswert preis.
Beim Sprechen wechselt Philippe Grandrieux ständig ins körperliche Register
Das Herzflimmern eines Ungeborenen
Die mobile Kamera entspricht dabei sichtlich einem körperlichen Impuls des Regisseurs: Beim Sprechen wechselt er ständig ins körperliche Register: Das Herzflimmern eines Ungeborenen wird bei ihm zum mit den Fingern markierten Ursprung des Kinos. Biedere Buchhalter-Drehbücher braucht er nicht, sagt er und läuft mit Händen vorm Gesicht umher, um zu zeigen, wie seine Kamera nach Stimmungen und Material der äußeren Wirklichkeit giert. Spricht er vom Wind, tönt ein „Schuschuuu“ aus ihm.
All sein Schaffen rühre von den Impulsen des Lebens her, erzählt er und lacht. Da will was raus aus diesem Körper, den er ebenfalls Strapazen aussetzt: Die letzten 24 Stunden habe er in Flugzeugen und auf Flughäfen zugebracht, um hierher zu kommen. Applaus. „Fuck“, sagt er dann. Und „I’m tired“ hinterher. Perfektes Schlusswort.
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So unterschiedlich kann man Filme sehen. Extrem war für mich an diesem möchtegernradikalen Streifen höchstens die unsägliche Langeweile, die sich rasch einstellte. Ein wirklich verheißungsvoller Anfang der mit seiner kammerspielhaften Traumatmosphäre die Erwartungen hochschraubte, dann der unmittelbare Absturz in etwas, das ungefähr der filmischen Phantasie eines weißen männlichen Mittelklasse-Teenies mit massiver Borderlinestörung, überambitioniertem Kunstwollen und einem Handbuch der Filmtropen und -klischees als Anleitung dafür entsprach. Und so entfaltete sich dann ein unsäglich ödes Slomo-Closeup-Kitsch-Tableau nach dem anderen mit vermutlich an Hämorrhoiden und irgendwas furchtbarem aus ihrer Kindheit bedeutsamkeitsschwer leidenden Protagonisten, die von einem dämlichen Mainstreamklischee der Decadence und Verstörung ins nächste verfrachtet werden, als wär man beim sonntäglichen «Tatort». Meine Belastbarkeitsgrenze für prätentiösen artsy-fartsy Bullshit war dann nach ca. ⅔ der Vorführung auch erreicht. Die oft ebenfalls ausdrücklich nach «Provokation», dieser durchschaubarsten aller Aufmerksamkeitsstrategien der Entertainmentindustrie haschenden Filme von Gaspar Noe sind wahre Meisterwerke der Filmkunst dagegen. Künstlerische Radikalität und Transgression sind dort aber nicht einmal ansatzweise zu entdecken.
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