Berlin und seine Narren: Prinzenrolle für Karnevalssenior
Reinhard Muß leitet seit 28 Jahren den Berliner Carnevals-Verein. Beim Umzug am Sonntag darf der 64-Jährige nun endlich den Prinzen geben. Eine Million Berliner sollen am Kudamm zuschauen.
Unter Prinz Reinhard I. hätte es das Rauchverbot in Kneipen wohl nicht gegeben. Ebenso wenig wie die ausnahmslose Schulpflicht engagierter Schüler während der Karnevalszeit. Oder erst dieser ständige Kampf mit der Opposition im deutschen Politikbetrieb! Undenkbar. Das wiederum könnte aber auch daran liegen, dass Prinz Reinhard I. gar keine Widersacher hat.
Von dem 64-Jährigen kann die Politik noch einiges lernen: Seit 28 Jahren, das sind 14 Wahlperioden, hat Reinhard Muß den Vorsitz des Berliner Carnevals-Vereins 1968 e. V. inne. Das Erfolgsrezept des Jeckenchefs? "Man muss einfach überzeugen", lautet die schlichte Antwort. Als Rentner ist dem gebürtigen Sachsen nun ein weiterer Coup gelungen: Für die Session 2008 /2009 wurde er zum Berliner Karnevalsprinzen gewählt. Einstimmig, versteht sich. Jetzt fiebert er dem "Höhepunkt" der Session, dem Karnevalsumzug, entgegen.
Dieser findet am Sonntag bereits zum neunten Mal bei den als Karnevalsmuffeln verschrienen Hauptstädtern statt. Pünktlich um 11.44 Uhr soll der Zug an der Kreuzung Hardenberg-/Fasanenstraße in Charlottenburg starten, am Breitscheidplatz auf den Kudamm abbiegen, in Höhe der Schlüterstraße wenden, bevor er auf der Gegenfahrbahn erhoffte eine Million Zuschauer auf den Tribünen am Straßenrand begeistern soll. Am Ende der 4,6 Kilometer geht die Party im "Q-Dorf" weiter.
Während des Karnevalzuges wird auch Prinzessin Doreen I., des Prinzen Auserwählte, wieder an seiner Seite weilen. Momentan sei die 26-Jährige, die im bügerlichen Leben Doreen Janowski heißt, noch durch Erwerbstätigkeit verhindert, bedauert der Prinz aufrichtig. Berliner Arbeitgeber, das lässt ein Narr hinter vorgehaltener Hand verlauten, seien dem Karneval nicht besonders wohlgesinnt.
Auch der Berliner Politik wird das von manchem Vereinsmitglied unterstellt. So sei zwar die Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Charlottenburg immer reibungslos, sagt Schatzmeister Martin Hörtig. "Aber dem Senat täte es durchaus gut, sich auch mal selber auf den Arm zu nehmen." Hörtig ärgert sich über die Senatsauflage, während der Parade Lärmmessungen durchzuführen. 2.000 Euro kostet das mehr, sagt er. Ein ganz normaler Vorgang, heißt es dazu aus der Umweltverwaltung.
Den etwa 3.500 Teilnehmern auf den 84 Wagen dürfte diese Auflage die Stimmung kaum verderben. Lauthals werden sie den Berliner Narrenruf "Hei-Jo" rufen, singen und schunkeln, und dabei bis zu 60 Tonnen Kamelle abwerfen. Um das gute Sonntagswetter kümmere sich der Zugmarschall, sagt der Schatzmeister. Da hat der noch viel zu tun. Derzeit werden leichte Niederschläge bei Temperaturen um den Gefrierpunkt prognostiziert.
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