Berlin und die Europawahl (6): Die Linkspartei: Der Wahlkampf zum Abgewöhnen
Die Linkspartei ist dabei, sich selbst zu zerlegen - ausgerechnet kurz vor der Europawahl. Am Wahlkampfstand ist davon nichts zu spüren. Denn zum Glück sind die Wähler desinteressiert wie eh und je.
"Du rauchst ja noch!" Martina Michels grinst ein bisschen verlegen, als ein Genosse beim Wahlkampftermin halb spaßig, halb kritisch auf die Zigarette in ihrer Hand weist. Aufhören ist nicht drin in diesen Tagen - "frühestens am 8. Juni", sagt sie. Dann ist Michels (53) entweder für die Linkspartei ins Europaparlament gewählt oder weiter Landespolitikerin. Auf jeden Fall ist dann ein Wahlkampf vorbei, der nicht weniger als die Zigarette zum Abgewöhnen war.
Es war für die Linke grundsätzlich schwer, eine proeuropäische Haltung auszustrahlen, weil beim jüngsten Bundesparteitag vorwiegend das Gegenteil vermittelt wurde. Und wie soll man sich am Infostand vor einem Friedrichshainer Supermarkt als verlässlich darstellen, wenn mitten im Wahlkampf prominente Abgeordnete genau diese Partei verlassen?
Es gehört zu den bewundernswerten Eigenschaften von Politikern, nicht zu verzweifeln, wenn an ihren Info-Ständen einfach keiner stehen bleiben mag. Vor dem roten Schirm und dem "Tin Alley Jazz Quartett", das den Termin ein bisschen auflockern soll, sind fast nur Parteijugend und ältere Semester zu sehen. Noch ungebundene Wähler fehlen.
Dabei hat die Linkspartei Prominenz aufgefahren. Halina Wawzyniak, die Mittdreißigerin mit blondem Kurzhaarschnitt, die ein bisschen moderiert, ist immerhin die Vize-Bundeschefin. Später wird noch Petra Pau vorbeischauen, Vizepräsidentin des Bundestags. Doch auch das holt weder die werktätigen Massen noch die Spätnachmittags-Einkäufer an den Infostand.
Es ist das Bild, das sich oft bietet, egal bei welcher Partei. Alejandro Lecuna (38) lebt schon seit neun Jahren in Deutschland und ist noch immer überrascht, wie wenig sich die Menschen für Politik interessieren. In Venezuela, sagt er, würden bei einem solchen Termin viele Leute vorbeischauen, Fragen stellen, ihre Meinung loswerden wollen. Hier aber schrumpft der Stapel mit dem Info-Material, das Lecuna für seine Partei anbietet, nur langsam.
Und so könnte man meinen: Dann ist es ja auch egal für die Europawahl, dass sich die Partei gerade zu zerlegen scheint. Tatsächlich sind ihre Umfragewerte seit den jüngsten Verwerfungen nicht eingebrochen. Noch nicht. Aber Umfragen haben einen Vorlauf von einigen Wochen. Und in diesen Wochen hat die Partei drei renommierte Mitglieder verloren und intern heftig gestritten. Erst trat Mitte Mai der Berliner Landespolitiker und Haushaltsexperte Carl Wechselberg aus. Dann wechselte die Europaabgeordnete Sylyia-Yvonne Kaufmann, in Brüssel geschätzt, aber parteiintern als zu EU-freundlich eingestuft und nicht wieder nominiert, direkt zur SPD. Zu Beginn dieser Woche verließ auch der sächsische Landtagsabgeordnete Ronald Weckesser seine Partei. Wie Wechselberg kritisierte er Bundeschef Oskar Lafontaine scharf. Es sei desaströs, wie "dieser rachsüchtige Egomane seine Privatfehde mit der SPD ausficht, eine reale Partei ruiniert, nur um im Westen der SPD zu zeigen, wo der Hammer hängt".
Martina Michels, die mit ihrem Listenplatz neun um ein Mandat in Brüssel bangen muss, mag all das nicht so hoch hängen. Das habe am Wahlkampfstand keine Rolle gespielt, meint sie. Das sagt auch Stefan Liebich, der im Herbst vom Abgeordnetenhaus in den Bundestag umziehen will. Der einstige Landesvorsitzende ist einer von denen, die in der Bundespartei noch mehr als seine Berliner Genossen unter Verdacht stehen, sich durch die rot-rote Koalition an die SPD verkauft zu haben. In einem offenen Brief hat der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Diether Dehm neulich bei seinem Parteigenossen Liebich "Schäden an Deiner Reputation und Zweifel an Deiner Weitsicht und Loyalität" diagnostiziert.
Der fällige Anpfiff von der Parteispitze blieb aus. Noch nicht mal Fraktionschef Gregor Gysi, Spitzenmann der Berliner für die Bundestagswahl, nahm Liebich öffentlichkeitswirksam in Schutz. "Da hätte ich mir einen deutlichen Hinweis gewünscht", sagt die Bundesvize Wawzyniak. Sie ist wie Liebich im Forum demokratischer Sozialismus organisiert, einem Sammelbecken linker Pragmatiker.
Die Realos wirken wie zerrissen zwischen dem Wunsch, Dehm und den linken Utopisten deutlich Kontra zu geben, und dem Wissen, wie sehr das der Partei bei der Wahl schaden kann. Es ist das eingebaute Problem der Pragmatiker, immer die Folgen abzuschätzen. Dass sie nachrechnen, was Lafontaines Wahlversprechen kosten würden, macht sie seriös. Parteiintern aber geraten sie in die Defensive.
Von einer Spaltung will Liebich zwar nichts wissen. Aber genau solch ein linkes Schisma hat es schon 2007 in Dresden gegeben. Dort gibt es seither im Stadtrat neben der Fraktion "Die Linke" eine ebenso große "Linksfraktion/PDS".
In Friedrichshain hat Martina Michels inzwischen ihre Wahlkampfrede gehalten. Hat in Kürze drei Punkte aufgeführt, warum die Linkspartei zu wählen sei: als Gegnerin einer Militarisierung der Europäischen Union, als Kämpferin gegen Niedriglöhne und als Befürworterin von mehr direkter Demokratie in Brüssel, über europaweite Volks- oder Bürgerbegehren.
Da kaum einer der begehrten parteiunabhängigen Wähler zuhört, kommen auch nicht die Fragen, die sich einem angesichts der Wahlplakate der Linkspartei stellen. "Raus aus Afghanistan" steht auf einem - dabei hat die EU weder Einfluss noch Zugriff auf die deutschen Truppen. "Millionäre zur Kasse", fordert die Partei auf einem anderen Plakat. Dabei gilt: Sosehr die EU den Alltag ihrer Mitgliedsstaaten beeinflusst - Steuern kann sie nicht erheben. Beide Plakate zielen auf nationale Themen. Das macht durchaus Sinn: In Umfragen zur Bundestagswahl schneidet die Linke gut 2 Prozentpunkte besser ab als bei denen zur Europawahl.
Die Trennung zwischen nationalen und europäischen Themen sei doch künstlich, eine Mindestlohndebatte führe man doch nicht nur auf Bundesebene, argumentiert Parteisprecher Thomas Barthel. Er ist der Mann, der in diesen Tagen und Wochen mehr denn je zu erklären, zu drehen, zu glätten hat, was da in der Partei dumm gelaufen ist. Das macht nicht wirklich Spaß, denn Barthel ist kein griesgrämiger, selbstquälerischer Typ. Am Donnerstag gab es einen Lichtblick für ihn. Da konnte Barthel Bescheid geben, dass Landeschef Klaus Lederer am nächsten Tag seinen langjährigen Lebensgefährten Oskar heiraten oder, genauer gesagt, eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen werde. "Das ist dann doch mal was Schönes."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!