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Berlin-Wahl am 20. September 2026Bereit, wenn Ihr es seid

Alle Spitzenkandidaturen zur Abgeordnetenhauswahl stehen. Zentrale Frage: Würden SPD und Grüne unter einer Bürgermeisterin Elif Eralp mitregieren?

Löst sie CDU-Chef Kai Wegner ab? Der Linkspartei-Landesvorstand will mit Elif Eralp als Spitzenkandidatin ins Rote Rathaus Foto: Fabian Sommer/dpa

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Stefan Alberti aus Berlin

taz | Das letzte große Personalrätsel Richtung Abgeordnetenhauswahl ist geklärt: Elif Eralp soll die Linkspartei in die Abgeordnetenhauswahl 2026 führen. Und die AfD hat am Samstag erneut Kristin Brinker zur Spitzenkandidatin gewählt. Damit steht seit diesem Wochenende, knapp elfeinhalb Monate vor dem Wahltermin am 20. September 2026, das Feld der Bewerberinnen und Bewerber für das Rote Rathaus. Offizielle Bestätigungen bei Parteitagen stehen zwar teilweise noch aus, gelten aber eher als Krönungsmessen denn als Wackelpartien.

Ende voriger Woche hatte der Landesvorstand der Linkspartei kurzfristig zu einer Presskonferenz eingeladen, um dort die Spitzenkandidatin vorzustellen. Eralps Name war dafür spätestens seit Jahresbeginn im Gespräch. Sie rückte zeitweise bloß in den Hintergrund, als Kerstin Wolter im Mai Landesvorsitzende wurde und als mögliche Spitzenkandidatin galt.

Genannt wurde zwar auch die frühere Bundesvorsitzende Katja Kipping, bis Frühjahr 2023 Berlins Sozialsenatorin. Die aber verfolgt seither eine aussichtsreiche Karriere beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und gilt zudem nicht als eine, die zum Berliner Landesverband neuerer Struktur passt. Der hat inzwischen rund 17.500 Mitglieder – mehr als doppelt so viele wie noch vor einem Jahr – und gilt als deutlich nach links gerückt.

Zur Wahl 2026 wollen nicht bloß die bereits ausgetretenen Exsenatsmitglieder um Klaus Lederer, sondern auch andere langjährige Stützen der Parlamentsfraktion nicht erneut antreten. Die so veränderte Partei gilt bei SPD und Grünen, ihren möglichen Koalitionspartnern, teilweise als Black Box.

Proteste beim AfD-Landesparteitag in Jüterbog

Verschiedene Proteste mit nach Teilnehmerangaben insgesamt 600 bis 700 Personen haben den nach Jüterbog knapp 50 Kilometer Luftlinie von der südlichen Berliner Stadtgrenze ausgelagerten Parteitag der Berliner AfD begleitet. In Berlin hatte die Partei dafür keine Räume gefunden. Demnach gab es eine Demonstration vom Bahnhof bis zur Parteitagshalle, dort eine Kundgebung mit dem DGB und auf dem Marktplatz einen Spendenlauf zugunsten eines örtlichen Jugendrats. Aus Berlin waren Demonstranten mit einem Reisebus angekommen - die Bahnverbindung ist wegen Streckensanierung bis Dezember unterbrochen und auf langwierigen Schienenersatzverkehr umgestellt. Zu dem Protest aufgerufen hatten sowohl verschiedene Initiativen aus der Region Jüterbog sowie aus Berlin.

In der Wiesenhalle tagten über 450 AfD-Mitglieder und wählten die Landesvorsitzende und Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, die 53-jährige Kristin Brinker, mit rund 94 Prozent Unterstützung erneut zur Spitzenkandidatin für die Berlin-Wahl 2026. Als Gastredner sagte AfD-Bundeschef Tino Chrupalla, Berlin sei in weiten Teilen „chaotisch und schmutzig". (sta, dpa)

Kämpferische Reden

Die 44-jährige Eralp, seit 2021 im Abgeordnetenhaus, ist seit Jahresbeginn mit kämpferischen Reden im Parlament aufgefallen, die in ihrer Energie die aktuelle Fraktionsspitze um Anne Helm und Tobias Schulze zeitweise in den Schatten stellen und an die Auftritte von Bundespolitikerin Heidi Reichinnek erinnern. Eralp rief etwa SPD und Grüne auf, sich von der CDU abzuwenden und mit ihrer Partei erneut ein Linksbündnis zu bilden – die drei Fraktionen hätten jetzt schon im Abgeordnetenhaus die nötige Mehrheit.

Die Parteispitze machte bei ihrer Vorstellung am Freitag unmissverständlich klar, welche Rolle sie nach der Wahl am 20. September einnehmen soll: „Elif Eralp ist unser Angebot für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin.“ Die – allerdings derzeit noch dünne – Datengrundlage gibt das durchaus her.

Bei der vier Monate zurückliegenden bislang letzten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap rangierte die Linkspartei zwar deutlich hinter der CDU von Regierungschef Kai Wegner, aber ebenso klar vor Grünen und SPD. Auch bei einer Einschätzung im Auftrag des Tagesspiegel von Mitte September führte die Partei im linken Lager mit 16 Prozent vor Grünen (15) und SPD (13). Traditionell stellt in einer Koalition der stärkste Partner den Chef oder die Chefin.

In etwa auf Augenhöhe mit diesen drei Parteien bewegt sich die AfD mit ebenfalls 16 Prozent. Damit hätte die Partei ihr Ergebnis bei der Berlin-Wahl vom Februar 2023 mehr als vereineinhalbfacht. Fraktionschefin Brinker wie damals wieder zur Spitzenkandidatin zu machen, ist angesichts dieser Entwicklung nicht überraschend. Sie ist die Verkörperung der AfD-Anstrengungen, sich in Berlin zumindest teilweise ein bürgerliches Gesicht zu geben. Brinker tritt im Abgeordnetenhaus weit gemäßigter auf als etwa ihr AfD-Fraktionschefkollege im nur 30 Kilometer entfernten Landtag in Potsdam.

Offizielle Nominierungen

Beim von Protesten begleiteten und ins brandenburgische Jüterbog ausgelagerten AfD-Landesparteitag (siehe Kasten) hielt sie das dennoch nicht von drastischen Formulierungen ab. „Wir müssen endlich diesen linksgrünen ideologischen Mief, der unsere Stadt, unser Land, verklebt, vernebelt, loswerden“, wurde sie von dort zitiert.

Formal ist Brinker nun die erste offizielle Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl in zehneinhalb Monaten. Bei SPD, Grünen und Linkspartei wollen Parteitage die bisher designierten und von Vorständen benannten Bewerber am 15. beziehungsweise 22. November wählen.

Dass dieser Schritt noch fehlt, hält die SPD nicht davon ab, bereits unmissverständlich mit Steffen Krach als ihrer Nr. 1 für die Wahl zu werben. Auf einer Litfasssäule am Potsdamer Platz war Krach schon Anfang Oktober in doppelter Lebensgröße unter der Überschrift „Spitzenkandidat der SPD Berlin“ zu sehen. Und mit dieser Anmoderation war Krach auch am Samstagnachmittag in der Fußgängerzone in Alt-Tegel zu erleben.

Bei den Grünen würde eine derartige vorzeitige Etikettierung mutmaßlich einiges an Protest nach dem gerne zitierten Prinzip „Basis ist Boss“ auslösen. Die luden vor eineinhalb Wochen noch ganz sauber formulierend zu einem kleinen Parteitag ein, um die Möglichkeit zu geben, „Werner Graf und Bettina Jarasch, die sich gemeinsam um die Spitzenkandidatur bewerben, kennenzulernen“. Wie so oft, hat diese Konstruktion bei den Grünen etwas Besonderes: Beide sollen zwar ein Spitzenkandidatenduo bilden, und doch wäre Graf die eigentliche Nummer 1, weil er und nicht Jarasch im Fall der Fälle Regierungschef im Roten Rathaus werden soll.

CDU allein im Haus?

Und die CDU? Die lässt sich Zeit. Dass Kai Wegner erneut Spitzenkandidat wird, steht ohnehin außer Frage. Ein Parteitag zu seiner offiziellen Benennung mutmaßlich im späten Frühjahr dürfte nochmal für zusätzliches Medieninteresse sorgen, so offenbar das Kalkül der Parteiführung. Dass er mit seiner CDU am 20. September wie 2023 vorne liegt, bezweifelt derzeit wenige.

Völlig offen ist hingegen, ob er sich damit im Amt halten kann. Denn das dürfte von den Antworten auf zwei Fragen abhängen: Kommen Linkspartei, Grüne und SPD am 20. September auf eine Mehrheit der Parlamentssitze, wofür 2023 nur knapp 44 Prozent der Wählerstimmen nötig waren? Und wenn ja, halten Grüne und SPD die so neu aufgestellte Linkspartei für bündnisfähig genug, um nicht bloß mit ihr zu koalieren, sondern auch ihre Spitzenfrau Eralp zur Regierungschefin zu machen? Knapp elfeinhalb Monate bleiben, um das zu klären. Das Starterfeld steht nun jedenfalls.

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