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■ Berlin: Schönbohm will weitere Massenabschiebungen von BosniernAutoritäre Geste

Auf die Rhetorik des Berliner Innensenators ist gnadenlos Verlaß. Sobald er sich zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik äußert, wird jede Feststellung zur Drohung. Bis zum Jahresende werden, so Jörg Schönbohm, 5.000 bosnische Flüchtlinge weniger in Berlin leben als jetzt. Wer rechnen kann, weiß, was das bedeutet, auch ohne daß das Wort Massenabschiebung fällt: Rund 20.000 Bosnier leben noch in Berlin, und sie haben dafür gute Gründe. Ein Viertel von ihnen soll in vier Monaten gehen, in einer Zeit, wo der Winter beginnt, zurück in eine unsichere Heimat.

„Maßvoll und unbemerkt“, hat der Innensenator hinzugefügt, werde das nicht vonstatten gehen. Ein überflüssiger Hinweis. Abschiebungen dieser Größenordnung können nur „maßlos“ sein – ohne Rücksicht auf den Einzelfall und auf das, was die Flüchtlinge in ihrer Heimat erwartet, ohne Rücksicht auf Ermahnungen selbst von höchster Warte.

Mit der Uneinsichtigkeit von rotzigen Schulbengeln weisen deutsche Innenpolitiker mittlerweile jegliche Kritik an dieser Rückführungspolitik zurück: Kirchen, Wohlfahrtsverbände, UN-Hochkommissarin, Oberverwaltungsgerichte – sie alle warnen, die Bosnier nicht in unverantwortbare Notlagen zurückzuschicken. Jetzt sieht sich sogar US-Außenministerin Albright persönlich genötigt, den „europäischen Verbündeten“ die Leviten zu lesen. Der Adressat dieser Warnung ist klar, aber vehement wie bei keinem anderen politischen Dissens schlägt Deutschland die Warnungen des großen Bruders in den Wind. Dabei fordern die USA nichts anderes als die Selbstverständlichkeit, deutsche Innenpolitik möge durch ihre Zwangsrückführungen nicht den internationalen Vertrag von Dayton sabotieren.

Deutsche Diplomatie kontert dieses Ansinnen mit dem autoritären Gestus des reichen Onkels, der die Spendierhosen anhat: Wir haben für die Aufnahme der Flüchtlinge geblecht, also bestimmen wir, wann unsere Generosität zu enden hat. „Die Zeiten der Gastfreundschaft gehen zu Ende“, nennt Innensenator Schönbohm das. Ein beliebtes, ein unzulässiges Bild, denn die bosnischen Flüchtlinge kamen nicht als Gäste auf Urlaub, sondern als Menschen in Lebensgefahr. Und sie wurden vom offiziellen Deutschland – anders als von seinen Bürgern – keineswegs freundschaftlich, sondern zähneknirschend aufgenommen. Sie waren bestenfalls geduldet, nicht aus lauter Gastfreundschaft, sondern aus internationaler und humanitärer Verpflichtung. Und die verbietet es auch weiterhin, einen Kriegsflüchtling zum Verbrecher umzustempeln, damit man ihn besser loswerden kann. Vera Gaserow

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