Berlin Atonal Festival: Nummer 316-16 lebt

Pyrolator spielt bei Der Plan und den Fehlfarben – nun ist er mit Material des Elektronikpioniers Conrad Schnitzler live zu erleben.

Der Musiker Kurt Dahlke aka Pyrolator

Niemals ohne „Lightning“: Kurt Dahlke aka Pyrolator Foto: bureau b

Ganz schön komisch, diese Songtitel. Die Tracks, die der Musiker Pyrolator auf seinem Album „Con-Struct“ (2015) versammelt hat, tragen Namen, die an Typennummern erinnern: „389-8“, „288-1“ oder „289-5“ heißen die zwölf Songs etwa.

Doch Pyrolator, der auf diesem Album Stücke des 2011 verstorbenen Experimentalmusikers und Künstlers Conrad Schnitzler bearbeitet hat, weiß im Interview aufzuklären: „Es sind Bänder aus dem riesengroßen Archiv Conrad Schnitzlers, die ich verwendet habe.

Er hatte sie mit Nummern versehen – und auf jedem Band befanden sich noch mal bis zu vierzehn Spuren. Dafür stehen die beiden Ziffern.“ Pyrolator – bürgerlich Kurt Dahlke – griff sich einzelne Spuren heraus und komponierte daraus neue Stücke.

Wenn er diese Songs am Sonntagabend beim Berlin Atonal Festival erstmals zur Aufführung bringt, so ist der Pioniergeist zweier großer experimenteller Künstler auf der Bühne vereint. Zum einen ist da Pyrolator, der als Mitglied von D.A.F., Der Plan und den Fehlfarben an der Düsseldorfer Postpunk-Erfolgsära teilhatte und der – vor allem solo – noch so viel mehr tolle Alben veröffentlicht hat. Nebenbei ist er Betreiber eines der wichtigsten Independent-Labels hierzulande, Ata Tak.

Befreiung vom 4/4-Takt

Zum anderen ist da Schnitzler, der bereits eine Dekade früher mit seinen Gruppen Tangerine Dream und Kluster nicht weniger als die Befreiung der deutschen Musik anstrebte, die in den Fesseln des 4/4-Takts erstarrte.

Schnitzler gründete auch das mythenumwobene Zo­diak Free Arts Lab und den dazugehörigen Club – damals die erste Berliner Zelle für völlig freie elektronische Experimente. Pyrolator und Schnitzler eint, dass sie sich als Dienstleister im Auftrag des Klangs verstanden und immer neugierig waren, welche Sounds zwischen E- und U-Musik sie noch kreieren konnten.

Pyrolators Bearbeitung bringt nun erstaunlich technoi­de und tanzbare Klänge hervor – die vorletzte Nummer „316-16“ würde tatsächlich zum Open-Air-Rave taugen. Im Interview in einem Kreuzberger Café erzählt der Musiker, dass er die Tracks sehr bewusst so gestaltet hat.

Denn er sieht in Schnitzler, der sehr viel mit Synthesizern aller Art gearbeitet hat, im Grunde einen Vorboten der Berliner Neunziger. „Conrad Schnitzler war einer der Urväter des Berliner Techno, als solchen habe ich ihn immer wahrgenommen. Man sollte an seinen ehemaligen Wohnort in Charlottenburg auch eine Gedenktafel anbringen“, erklärt er in Anspielung an eine gerade frisch in Berlin-Schöneberg montierte David-Bowie-Ehrenplakette.

Bei der Live-Aufführung werden nun auch bearbeitete Filme aus dem Super-8-Archiv Schnitzlers zu sehen sein. Dabei wählte man die Aufnahmen, bei denen Schnitzler den Film selbst als Medium genutzt hat, ihn etwa mit Kratzern versehen oder mit Farbe behandelt hat.

Die engere Verbindung zur bildenden Kunst und zur Filmkunst trennt den Beuys-Schüler Schnitzler auch von den anderen experimentellen Musikern seiner Zeit, meint Pyrolator: „Er hat sich immer als Gesamtkunstwerk gesehen.“

Das Album: Pyrolator/Conrad Schnitzler: „Con-Struct“ (Bureau B/Indigo)

Live beim Berlin Atonal Festival: Sonntag, 28. August, 20.15 Uhr, Kraftwerk, Köpenicker Str. 70

Damit es bei der Aufführung nicht allzu statisch zugeht – vorne Laptop-Künstler, hinten Patterns auf Leinwand –, nutzt Pyrolator Lightning, zwei vom Synthesizerpionier Don Buchla erfundene Infrarot-Steuerungsstäbe, die wie die „komplexe Fernbedienung meines Computers sind“.

Pyrolator, der seit fünf Jahren in Berlin lebt, hat zuletzt in seiner Heimatstadt Düsseldorf eine Dauerinstallation in der ­U-Bahn fertiggestellt. Im Rahmen eines Kunst am Bauprojekts hat er eine Rolltreppe am Heinrich-Heine-Bahnhof mit 48 Lautsprechern versehen, aus denen verfremdetes Vögelgezwitscher zu vernehmen ist. Die Fauna-Avantgarde am U-Bahnhof: Auch das ist irgendwie eine Pioniertat.

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