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■ Bericht über Weihnachtsvorfreude in deutschen Büros: intensiv, menschlich integer und in jeder Hinsicht kollegialJulklapp – aber nur unter dem Siegel der Verschlagenheit

Eine gelungene Feier konnte man den Julklapp nicht nennen. Einen Monat vorher hatte der Chef angekündigt, daß es mit dem Weihnachtsgeld nichts würde. Es war von Konjunkturlage und Standort die Rede. Ich hab' mich erst wieder beruhigt, nachdem ich 500 Briefumschläge, 2.000 Blatt Schreibmaschinenpapier und ein Kilo Büroklammern mit nach Hause genommen habe, wozu auch immer.

Jedenfalls: alleine das Geschacher mit den Losen! Ich glaube nicht, daß irgend jemand außer mir sein Originallos behalten hat. Tagelang versuchte zum Beispiel Lilo aus der Anmeldung, ihres umzutauschen. Sie hatte ein Auge auf Hajo Grützmacher aus der Buchhaltung geworfen, der natürlich ahnungslos war, und wollte ihm durch ein Geschenk helfen.

Was die Kolleginnen zum Anlaß nahmen, zweideutige, um nicht zu sagen eindeutige Vorschläge zu machen. Das fand ich nicht schön und sagte dann auch zu Lilo, daß Hajo doch ganz nett wäre. „Ich will gar nix von dem, das sind bloß meine Hormone.“ Ich rückte mein Los jedenfalls nicht heraus; ich hatte mich selbst gezogen. Als Julklapp packte ich Ringelsocken ein, von denen ich hoffte, daß die Kollegen sie nicht schon an mir gesehen hatten.

Ich nehme mal an, daß einige Personen ihre Lose einfach weggeschmissen hatten, um sich dann selbst irgend jemanden auszusuchen. Als ich einige Minuten vor Beginn der Festlichkeiten ankam, war die Damentoilette schon belagert.

Auf der Fensterbank standen jede Menge Flaschen, und ich stellte meine dazu. Der Chef hatte verkünden lassen, daß er gegen „ein Fläschchen guten Weins“ auf einer Weihnachtsfeier nichts habe, Likörbohnen aber das Äußerste an harten Getränken seien, was er tolerieren werde.

So begann der Abend mit einer Rede des Chefs. Sie war noch nicht zu Ende, als die Tür aufging. Ein Typ in einer Art Uniform fragte, wer von uns den Limousinenservice bestellt hätte. Alle sagten, sie nicht, und was das überhaupt wäre, und außerdem sei das hier eine Erwachsenen-Weihnachtsfeier. Da zog er wieder ab.

Dann fingen wir mit dem Auspacken an. Hajo Grützmacher kriegte 17 Päckchen. Mich eingerechnet sind wir 18 Frauen in dem Laden. Nach der zweiten Kondompackung hörte er mit dem Auswickeln auf, und Lilo kriegte einen Weinbrandkrampf. Fräulein Ehmcke, Anna- Maria aus der Verwaltung/Inland und ich schleppten sie ins Klo und gossen nach, bis sie wieder einigermaßen zuwege war. Als wir zurückkamen, stand schon wieder der Chauffeur auf der Matte.

Da hätte noch mal jemand angerufen und den Schlitten bestellt, und wenn sich jetzt keiner dazu bekenne, dann würde er hier mal Linien ziehen. Jetzt rächte es sich, daß so viele dagegen gestimmt hatten, daß der Versand an der Feier teilnimmt. Da sind ein paar Jungs drunter, die aber so was von Linien ziehen können. Als der Chef „Guter Mann“ zu dem Chauffeur sagte, schmiß der den Tisch mit den Salzstangen um und stellte Hajo Grützmacher, der sich auf ihn stürzen wollte, ein Bein, worauf Lilo sich mit einem Aufschrei auf Hajo warf. Von dort aus hörten wir noch allerhand Gerumpel und Getöse.

Dann wurde es ruhig, weil die Polizei eingetroffen war. Wer die angerufen hatte, kam nie raus, auch dazu gab es später kein Bekennerschreiben. Mir wurde dann gleich sehr schlecht, und ich kriegte nur am Rande mit, wie darüber debattiert wurde, daß ich nach Hause geschafft werden müßte. Das hielt ich für keine gute Idee. Und sie wurde auch nicht verwirklicht, weil just, als jemand zum Telefon krabbeln wollte, Harry eintraf und mich nach Hause schleppte.

Harry nannte mich dann so lange „alte Schnapsdrossel“, bis ich ihn eine Woche später von der Weihnachtsfeier in seiner Firma abholen mußte. Das heißt, ich fuhr nicht selbst. Dafür schickte ich den Limousinenservice samt Chauffeur.

Die Nummer hatte ich ja noch im Kopf. Fanny Müller

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