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Bergsteigen in BremenHuckel, Höcker, Hulsberg: Welchen Berg nehmen?

■ Folge 3: How many years can a mountain exist before er wird abgegraben und zum Bau von Eisenbahndämmen verwendet?

Sie erinnern sich: Aus schierer Unaufmerksamkeit habe ich Andreas Türck ohne „c“ geschrieben. Außerdem hat der Besuch des schönen Gerhard Schröder im schönen Bremen meinem Leben neuen Sinn verliehen. Ich weiß nun, daß ich einen Berg in Bremen finden muß, um die hiesige schöne Jugend vor der Abschiebung ins gräßliche Österreich zu bewahren.

Aber welchen Berg nehmen? Ich kaufte einen Stadtplan und fand heraus, daß es in Bremen zirka 80 Orts-, Flur- und Straßennamen gibt, die direkt oder indirekt mit größeren geographischen Erhebungen zu tun haben. Dämme, Deiche oder Denkmäler schieden aus, mit solchen Peanuts wollte ich mich nicht abgeben. Auch Huckel, Höcker, Schanzen oder Hügel vermochten mir nur ein müdes Lächeln abzuringen.

Ich machte mir eine Liste der in Frage kommenden Bremer Berge. Den Schinkenberg in Arbergen strich ich sogleich wieder, da er mittlerweile dem Verfall oder dem Verzehr anheimgefallen sein durfte. So ging es munter weiter; ich merkte bald, daß ich mir da eine regelrechte Strichliste angelegt hatte. Waterbergstraße: streichen – ich wollte Bergsteigen und nicht Surfen; Bergiusstraße, Gabelsberger Straße, Isenbergweg: dreifach streichen – es ist pietätlos, auf verstorbenen Chemikern bzw. Stenographie-Ikonen bzw. Begründern der hawaiischen Zuckerwirtschaft herumzutrampeln. Schließlich stand nur noch ein einziger Ort auf meiner Liste: Hulsberg.

Auf dem Weg nach Hulsberg traf ich einen Freund, der ein Buch unter dem Arm trug. Es hatte zufälligerweise den Titel „Die Freie Hansestadt Bremen und ihr Gebiet, 2. Auflage 1882“. „Welch Koinzidenz!“ rief ich aus. „Lesen Sie, lieber Freund, lesen Sie den vierten Paragraphen des zweiten Kapitels, denn ich beabsichtige, etwas über die geographischen Erhebungen in diesem Lande in Erfahrung zu bringen!“ Er blätterte und las: „Nirgends findet sich aufstehendes Gestein“. Ich zeigte mich amüsiert. „Dieser Buchenau scheint mir ja ein rechter Schelm zu sein“, erwiderte ich vergnügt, „er legt mit diesem Scherzwort nahe, daß es durchaus Landstriche geben soll, in denen die Felsen gleich den Menschen umherspazieren! Putzig! Ha ha!“

Aber außer in ihrer Eigenschaft als Lieferanten für diesen lauwarmen Scherz waren Buch und Freund keine große Hilfe, weshalb ich beide fortschickte. Lieber wollte ich Volkes Stimme hören. Als ich Passanten nach dem Hulsberg fragte, mußte ich erfahren, daß irgendein Witzbold vom Weser Kurier die Hulsberger schon vor einiger Zeit mit dieser Frage belästigt hatte, was solch ein herber Dämpfer für den Glauben an meine eigene Originalität war, daß ich bei der Erwähnung des Wortes „Weser Kurier“ künftig schreiend davonlief.

Schließlich konnte ich den scheuen, eigenbrötlerischen, aber durch die Bank kabarettistisch veranlagten Bergbewohnern doch noch entlocken, wonach mich gelüstete. Ich erfuhr, daß der Hulsberg der höchste Berg in Bremen sei, weil man von dort aus bis zum Schwarzen Meer sehen könne (An sich kein schlechter Witz, hätte er nicht einen Bart, der von hier bis nach Sewastopol reicht). Der zweithöchste Berg sei der Schuldenberg, kicher kicher. Der dritthöchste Berg schließlich sei der Müllberg neben der A 27, ha ha. Ha ha in der Tat. Dieses lächerliche Häuflein sollte das Ziel meiner Träume sein? Diese Warze im Antlitz der Erde, nein, dieser Mitesser von einem mickrigen Hügelchen?

Nun ja, mir blieb nichts anderes übrig. Ich würde den Müllberg besteigen. Das ist weniger erniedrigend, als mancher meinen möchte, denn mittlerweile hat sich ein kräftiger Unkrautteppich über den Abfall gelegt, und bei Sonnenaufgang wirkt der Müllberg fast so majestätisch wie der Kilimandscharo oder vergleichbare ausländische Produkte. Ja, ich möchte sogar so weit gehen, den Müllberg „Die Perle Bremens“ zu nennen, dies aber, wie gesagt, ausschließlich bei Sonnenaufgang. Das Thema bei Sonja heute morgen war: „Besoffen bin ich richtig gut“.

Tim Ingold

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