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Bergbau in BrasilienStahlwerk mit Schönheitsfehlern

An der Westküste in Rio de Janeiro weihte Präsident Lula da Silva am Freitag ThyssenKrupps modernstes Stahlwerk ein. Proteste von Fischern und Umweltschützern blieben folgenlos.

Sorgt für Proteste: Das Stahlwerk von ThyssenKrupp in Rio de Janeiro. Bild: Pressefoto thyssenkrupp.com

PORTO ALEGRE taz | Luiz Inácio Lula da Silva persönlich gab den Startschuss für den Betrieb von ThyssenKrupps umstrittenem Megastahlwerk an Rio de Janeiros Westküste. Unbeeindruckt von der Kritik lokaler Fischer und Umweltschützer lobte Brasiliens Präsident das Projekt am Freitag als Sinnbild für seinen "verantwortungsvollen und seriösen" Wachstumskurs: "Spätestens in zehn Jahren sind wir die fünf- oder viertgrößte Volkswirtschaft der Welt", verkündete Lula.

Mit 5,2 Millarden Euro ist die hochmoderne Anlage die seit langem größte Privatinvestition in Brasilien. Juniorpartner Vale hält an dem Projekt einen Anteil von knapp 27 Prozent. Der brasilianische Bergbauriese liefert auch das Eisenerz aus dem Bundesstaat Minas Gerais.

Auf Hochtouren, mit dann 3.500 Arbeitsplätzen und einer Jahresproduktion von 5 Millionen Tonnen Stahlbrammen, soll das Werk aber erst 2011 laufen, zwei Jahre später als ursprünglich geplant. Die bis zu 35 Tonnen schweren Rohstahlplatten aus der Sepetiba-Bucht werden exportiert – 60 Prozent sollen an ein neues Thyssen-Walzwerk im US-Staat Alabama gehen, 40 Prozent nach Deutschland.

Für die Wahl des Standorts Rio waren Kostengründe ausschlaggebend. Doch schließlich lagen sie viermal so hoch wie geplant: Der brasilianische Real legte gegenüber dem Euro deutlich zu. Zur Stabilisierung der Bauten wurden unzählige Pfähle in den sumpfigen Boden gerammt – insgesamt etwa 1.200 Kilometer statt der geplanten 850, wie Projektleiter Friedrich-Wilhelm Schaefer berichtete. Auf dem 9 Quadratkilometer großen Areal seien bislang 110.000 Tonnen Eisen und 950.000 Kubikmeter Zement verbaut worden.

Ärger gab es mit Drittfirmen: So sollte der bei den Gewerkschaften umstrittene Bau der Kokerei durch den chinesischen Mischkozern Citic bis zu 70 Millionen Euro günstiger kommen, doch nach Pfusch am Stahlgerüst musste nachgebessert werden. Schließlich baute die Thyssen-Tocher Uhde die Kokerei fertig, Mehrkosten: 100 Millionen Euro.

Wegen der Nähe zu den Rohstoffquellen und niedrigerer Löhne sind die brasilianischen Brammen immer noch mindestens 15 Prozent billiger als deutsche. Die ersten Platten sollen nun im August verschifft werden. Bis 2014 peile man eine Jahresproduktion von 6 Millionen Tonnen an, sagte ThyssenKrupp-Vorstandschef Ekkehard Schultz.

"Hohe Umweltkriterien sind für uns eine Selbstverständlichkeit", versicherte er in seiner Einweihungsrede. Die Fischer der Sepetiba-Bucht sehen das anders. Einer von ihnen, der von Killerkommandos bedrohte Luis Carlos Oliveira, schilderte auf der Hauptversammlung von ThyssenKrupp im Januar, wie das Stahlwerk tausenden Kleinfischern die Lebensgrundlage entzogen habe.

Durch die Ausbaggerung der Bucht seien giftige Schwermetalle freigesetzt worden, die Fischbestände dramatisch zurückgegangen, so Oliveira. Beim Bau der Brücke zum Hafen wurden Mangrovenwälder zerstört, so dass die Umweltbehörde eingreifen musste. ThyssenKrupp stellt sich bis heute stur, mittlerweile klagen 5.700 Fischer auf Entschädigung.

Schließlich erhöht sich der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) der Millionenmetropole Rio durch das Stahlwerk um 76 Prozent, wie ein grüner Stadtrat errechnete. Trotzdem wird es von den Vereinten Nationen als Klimaschutzprojekt im Rahmen des Clean Development Mechanism gefördert, da in einigen Prozessen besonders energieeffiziente Technologien zum Einsatz kommen. Und Rios Umweltbehörde, die für die Überwachung des Stahlwerks zuständig ist, bekommt für die Renovierung ihrer Zentrale 2 Millionen Euro.

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