Benjamin Moldenhauer Popmusikund Eigensinn: Von der Wurst zur Platte
Dreizehn Menschen residieren in der ehemaligen Bremer Wurstfabrik Könecke und bilden eine Art Kollektiv. Das wiederum betreibt gemeinsam ein Label: „Am Apparat“. Definitiv eine Aufwertung der Immobilie: Wo früher Wurstmasse in Naturdärme gepresst wurde, entsteht heute Hip-Hop, der nach allen Seiten hin offen ist. Funk, Soul, House, Synthwave, passt alles rein.
„Wo ich wohn? Ich wohn außerhalb der Industrie“ rappt Repete23. Und „außerhalb der Industrie“ ist immer noch eine der besten Voraussetzungen für Musik. Im Zentrum entstehen zwar auch schöne Dinge, hin und wieder, aber die Schönheit, die verbunden ist mit dem Versuch, etwas Ähnliches wie Autonomie herzustellen und zu erhalten, ist eng verbunden mit den Rändern und den Nischen.
Bestes Beispiel aus Bremen im ersten Halbjahr 2020: Das Album „Koreanko“ von Korea Michi & Ranko. Vor nicht allzu langer Zeit erschienen und zumindest vom Sound her eher untypisch für die Musik, die auf „Am Apparat“ erscheint. Weitgehend instrumentale, freundlich-entspannte Elektronik, alles schön verlangsamt und entrückt. „Robinson Capsule“ zum Beispiel vermengt Synthie-Sounds aus mindestens zwei Dekaden miteinander. „Carbonara Wave“ klingt wie der endlose Sommer und bei „Amsterdam Genetics“ kommt beim geglückten musikalischen Versuch, alles Schwere und Nervige abzustellen, schönes Klaviergeklimper und cheesy Jazz-Saxofon dazu. Das ist dann auch nur geografisch bedingter Zufall, dass so etwas nicht bei „Warp“ o. Ä. erscheint.
„Der Apparat lässt es auf jeden Fall zu, sich genreübergreifend aufzustellen und ich bin gespannt, wo die Reise sound-technisch in den nächsten Jahren hingehen wird“, hat Ranko dem Theater Bremen im Interview erzählt. Mit diesem sehr offenen Zugriff auf Samples, Beats und der Vermeidung von Härte erinnert „Am Apparat“ an das in den Nullerjahren sehr präsente Anticon-Label, auch wenn die Bremer dann doch am liebsten mit Oldschool-Hip-Hop und Jazz-Samples rumhantieren. Oder, wie Ranko auf dem Mixtape „Flüsseviertel“, mit Hip-Hop und House.
Dass ein so stilsicheres, musikhistorisch informiertes, fokussiertes und zu allem Überfluss eben auch noch einfach ungemein schönes Album wie „Koreanko“ auf einem Bremer Label erscheint, das in einer Wurstfabrik residiert und das noch kaum einer kennt, ist überraschend. Immer schön, wenn man blühende Nischen vor der Haustür entdeckt.
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