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Benjamin Moldenhauer Popmusik und EigensinnVerschmitzt im Blut

Die Menschheit taugt nichts. Nicht einmal Misanthropie verspricht einen Ausweg, weil man selbst ja Mensch sein muss, um Misanthrop sein zu können. Das Ergebnis jeder misanthropischen Unternehmung ist also immer auch hässlicher Selbsthass. Es gibt allerdings Ausnahmen, in denen Frohsinn und Weltekel sich miteinander verbinden. Die Metal-Band Gwar bringt solche heiteren Bestrafungsfantasien auf die Bühnen: Puppen führender Repräsentanten der Gattung (Politiker, Fernsemoderatoren usw.) werden geköpft, ausgeweidet, zerstückelt und alles. Die Songs – fader, punklastiger Metal – sind mindestens zweitrangig, die überdimensionierten Kostüme der Band aber von anmutiger Hässlichkeit. Im Zentrum des Spektakels steht der Spaß an der symbolischen Selbstbarbarisierung auf und vor der Bühne.

Der Band-Mythos geht so: Gwar sind eine Gruppe verrohter außerirdischer Söldner, die vor Urzeiten auf die Erde verbannt wurden, sich hier mit Affen gepaart und so die Menschen gezeugt haben. Ein schlimmer Fehler. Seitdem kämpft man gegen die zahllosen Verfehlungen der eigenen Schöpfung. Es fliegen Körpersäfte, Extremitäten und Innereien fröhlich durch die Lüfte und den Fans ins Gesicht. Dieses Spektakel betreibt die Band unermüdlich auch nach 35 Jahren im Wesentlichen unverändert. Sonderlich skandalös wird das heute nicht mehr aufgenommen. Ästhetisch bezaubernd und konzeptuell interessant sind Gwar immer noch. Auch klassischer Metal lebt von einstudierten und ritualisierten Gesten. Gwar aber verstehen Metal im Kern als Theater: Tiefe und Authentizität sind hier nur noch ein Witz, über den der Fan verschmitzt lacht, während er sich vor der Bühne im Kunstgedärm wälzt.

Heute allerdings geht man, vermute ich, auf ein Gwar-Konzert, um sich nostalgisch an die Schweinereien von damals zu erinnern. „Damals“ war das alles eine Möglichkeit, performativ den eigenen Bad Taste zu feiern und sich so als junger Mensch von der Welt der Erwachsenen abzusetzen. Einer Welt, die man als Fünfzehnjähriger ja nicht zu Unrecht als korrupt und verlogen wahrnimmt und erlebt. Man findet etwas gut, was radikal abartig und falsch sein will, weil die Menschheit radikal abartig und falsch ist. Ich will nicht sagen, dass das richtig ist. Aber es gibt solche Tage.

Fr, 6. 12., 19 Uhr, Modernes

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