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Benjamin Moldenhauer Popmusik und EigensinnErgriffen vom Widerspruch

Wie viel Regelhaftigkeit man braucht in der Musik, die man so hört, es hängt vom Strukturbedürfnis des Hörenden ab. Und von der musikalischen Bildung, die ihm zum Beispiel seine Eltern finanziert haben. Wenn die es ihm erlaubt, dort, wo ein simplerer Geist nur improvisierten Wirrwarr vernimmt, koordinierten Gestaltungswillen wahrzunehmen, kann es auditiv auch wüster zugehen, ohne dass Fluchtimpulse sich regen.

Am liebsten war mir als intuitivem Hörer der von den traditionellen Spiel- und Kommunikationsweisen befreite Jazz immer dann, wenn er wieder zurückging, die Tradition gleichsam liebevoll infizierte und sie und sich damit erweiterte. Albert Aylers Version der Funeral-Musik aus New Orleans zum Beispiel. Oder das, was John Coltrane auf „Live at the Village Vanguard Again!“ mit den eigenen Stücken „Naima“ und „My Favorite Things“ anstellt.

Mit der Musik, die der Pianist Alexander von Schlippenbach spielt, ist es einerseits, andererseits, je nach Konstellation und Album. Die im Trio mit Evan Parker und Paul Lovens eingespielte Platte „Bauhaus Dessau“ oder das Gesamtwerk von Schlippenbachs Globe-Unity-Ensemble, das Free Jazz Mitte der 60er, manche sagen, zum ersten Mal, ins Bigband-Format überführte – das ist eher maximal anstrengend. Rein subjektiv natürlich der Eindruck. Ich weiß, dass es Menschen gibt, denen das Herz aufgeht, wo ich mich kognitiv überfordert abwende, und ich nehme das sehr ernst.

Aber am Beispiel der Musik Alexander von Schlippenbachs lässt sich, andererseits, folgende Wahrnehmung verallgemeinern: Wo am Free Jazz geschulte Haltungen und Herangehensweisen die Berührung mit traditionell anmutenden Formen suchen, entsteht in der Reibung eine angespannte Schönheit, die auch intuitiv und soundorientiert hörenden Menschen die Verbindung mit dem jeweiligen Klangkörper erlaubt. Die Einspielung des Gesamtwerkes von Thelonious Monk durch Schlippenbach und Leute der Berliner Jazzband Die Enttäuschung beispielsweise. Die Musik sturzelt einem von Anfang mit einer hochkonzentrierten und unmittelbaren Spiellust entgegen wie man sie nicht häufig findet. Gleiches gilt für die Pianistin Aki Takase, mit der Alexander von Schlippenbach im Duo auftritt. Ihre gemeinsam mit dem Saxofonisten David Murray eingespielte Platte „Blue Monk“ oder die mit Silke Eberhard aufgenommene „Ornette Coleman Anthology“, die sich auf einen Korpus aus bereits radikal freier Musik bezog – es ist die schiere Freude.

Wenn Takase und von Schlippenbach gemeinsam am Flügel sitzen, weiß man nicht, was das Ergebnis sein wird: Improvisationen und Kompositionen, die man sich ohne analytisch ausgebildetes Ohr kaum wird erschließen können; oder die Hervorbringung einer intuitiv nachvollziehbaren dialektischen Spannung zwischen Freiheit und Struktur. Widersprüchlichkeit ist, was einen im einen wie im anderen Fall eigentlich ergreift und einbindet in diese Musik.

So, 14. 10., 18 Uhr, Sendesaal

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