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Bemerkenswertes Paket

Qualitäts-HipHop in der Kleeblattvariante: Declaime, Grand Agent, Lone Catalysts und 5Deez sind auf „Superrappin“-Tour im Schlachthof zu Gast  ■ Von Alexander Diehl

East- versus West- beziehungsweise Leftcoast war eine Ordnungs-kategorie im HipHop, an der entlang sich Macher wie Hörer lange Zeit leicht positionieren konnten; Underground wider Kommerz, in vulgo: kleines gegen großes Geld, war eine andere. Beide galten wohl nie für alle Beteiligten, waren aber immer alles andere als nebensächlich. Dass die immer wieder behauptete Realness sich auf von rauhen Hood-Straßen kommenden Indiescheiben vielleicht auch nicht immer automatisch wiederfindet, und dass die extrem teuer gewordenen Produzenten am anderen Ende der Skala auch musikalisch die Nase weiter vorne am Wind haben könnten – vgl. Timbaland oder N.E.R.D. –, daran musste sich mancher erst gewöhnen. Heutzutage sind sich Westküstenbeheimatete wie die Dilated Peoples durchaus nicht länger zu schade, mit vermeintlich New York-typischen Skills hausieren zu gehen, während sie von Majorlabels ihre Vergiss-deine-Wurzeln-nicht-Kampagnen finanziert bekommen. Was letztlich auch nur heißt, sich endlich von so manchem lange aufrechterhaltenen Mythos zu verabschieden.

Dass aber nicht nur die konkurrierenden Metropolen immer weniger unterscheidbar werden, sondern im Zuge dessen vielleicht auch weniger aufmerksam beachtete Teile der HipHop-Landkarte zu ihrem Recht kommen mögen, da-ran arbeitet hierzulande seit einigen Jahren das Kölner Superrappin-Label. Die dort betriebene Veröffentlichungspolitik bescherte immer wieder auch Perlen aus dem vermeintlichen Ödland des Mittelwestens oder sonstiger Gegenden ohne gut ausgebaute Label- und Medieninfrastrukturen. Mit einer Tour zum unlängst erschienenen zweiten Superrappin-Sampler macht man jetzt nochmal auf sich aufmerksam. Und abseits von Grundsatzüberlegungen dürfen sich HipHop-Interessierte freilich auch einfach darüber freuen, bei dieser Gelegenheit ein wirklich bemerkenswertes Paket aktuellen Geschehens diesseits der ganz großen Budgets und Hallen auf die Bühne gestellt zu sehen.

Aus dem in jüngster Zeit wieder verstärkt ins Gespräch gekommenen Produktionsstandort Philadelphia meldet sich mit Grand Agent eine neue Generation, nun ja, altmodischer Rapper zu Wort. Er ist ein solider Reimer mit einer schmeichelnden Stimme, setzt auf klassischen mittelschnellen Vortrag ohne übertriebene Weirdness und tut gut daran, sich nicht mit zu komplexen Beats selbst zu überfordern. Mag sein erklärtes Projekt auch sein, „to bring God into a B-Boy's perspective“, dürften insbesondere die Schwestern so ihre Schwierigkeiten mit manchen seiner zuweilen arg unreflektierten Texte haben. Freundinnen macht man sich mit zum x-ten Mal aufgegossenen Pennälerfantasien wie „Two Bitches“ eher nicht. Auf seinem durch vieler Köche Beteiligung etwas zusammengeklaubt wirkenden Debüt By Design läuft der „Grand one“ immer dann zu guter Form auf, wenn er inspirierende Instrumentaltracks geliefert bekommt, was u.a. die Produzenten Kutmasta Kurt und Hi-Tek für ihn erledigten. Seine eigenen Gehversuche seien dagegen lieber großzügig verschwiegen.

Der selbst ernannte „Madman“ Declaime kommt paradoxerweise nun ausgerechnet aus der Leftcoastmetropole Los Angeles und bewegt sich dort im fruchtbaren Underground-Umfeld der Likwit Krew und insbesondere seines Kindheitsfreundes Madlib (alias Quasimoto alias Yesterdays New Quintet). Dieser produzierte ihm im vergangenen Jahr ein überraschend rundes Debütalbum zwischen verschraubten Jazzsamples und bekiffter Kopfnickphilosophie, zurückgelehnter „ill mind music“ und vereinzelten, gebellten Freestyles. Auf deren Live-Umsetzung darf man gespannt sein, auch wenn Declaimes schnarrendes Gemöhre auf die Dauer nicht die diversen Albumgäste ersetzen kann. Aber vielleicht hat der 27-jährige DJ-Sohn und Familienvater, über den es einmal hieß, er klinge wie Wu Tang-Oberfreak „Ol Dirty Bastard nach einer ernsten Kieferoperation“, ja auch noch etwas in der Hinterhand.

Ebenfalls mit viel Jazz bewaffneten die Lone Catalysts ihre Samplerfestplatten und dürften – nicht nur deshalb – die am innigs-ten auf hiesige Bühnen gesehnten Teilnehmer der Tour sein: Im Klangbild nicht unverwandt dem letzten Eins, Zwo-Werk legten sie ein formidables Album vor, so bescheiden wie wahr Hip Hop betitelt. Und mit Herkunftsorten wie Columbus, Ohio, und Pittsburgh, Pennsylvania, repräsentieren MC J. Sands und DJ J. Rawls nun wirklich mal die so genannte HipHop-Provinz. Wenn gelegentlich ein neugieriger A&R auf dem falschen Zielflughafen landen würde statt bloß seines Gepäcks, wären die Lone Catalysts auch längst größer rausgekommen, könnte man meinen. Liveerfahren wie sie sind, und das zählte ja im Genre immer noch etwas, könnten sie jedenfalls ein echtes Highlight in diesem Hip-Hop-Konzertjahr markieren.

Rund macht den Abend dann noch eine Band, über deren rechtmäßigen Aufenthalt im HipHop-Fach manche wohl schon wieder diskutieren müssten: Betont eklektisch schritten 5Deez auf ihrem Debüt Koolmotor zu Werke, kombinierten folkloristischen Sample-Übermut mit Oldschool-Ringelpiez und ließen Synthieflächen auf verschmitzten Humor treffen. Schließlich scheuen sie keine Berührungsängste, heften sich auch noch Vorstellungen „of what House should sound like“ ans Revers, kokettieren beinahe mit, ähem, Trip-Hop, modernem Jazz – oder einfach „whatever they feel like doing“. Nichts für Puristen, aber der Frage, wie denn HipHop klingen dürfe (und wie nicht), wäre ja ohnehin nochmal nachzugehen.

Donnerstag, 21 Uhr, Schlachthof

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