: Bemba und das stehlende Krokodil
Wie ein entlegener Distrikt tief im Urwald Schauplatz der ersten massiven Gewalt im Kongo nach den Wahlen wurde
BERLIN taz ■ Gewalt im Zusammenhang mit den Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo hat über 2.000 Menschen in die Flucht in das Nachbarland Kongo-Brazzaville getrieben. Aber sie flohen nicht aus der Hauptstadt Kinshasa, wo es gestern erneut zu Schießereien zwischen der Garde des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Bemba und der Polizei kam. Die Flucht ereignete sich 300 Kilometer nördlich, in Bolobo. Nachdem Gewalt dort acht Tote forderte, meldete die UNO am Montag im Nachbarland Kongo-Brazzaville die Ankunft von 2.000 bis 2.500 Flüchtlingen aus Bolobo über den Kongo-Fluss.
Bolobo ist typisch für die Armut und Abgeschiedenheit, in der die meisten Kongolesen leben. Rund 109.000 Menschen bevölkern den etwa 3.000 Quadratkilometer großen Distrikt, in dem es keinen Strom gibt und fast keine bezahlte Arbeit. Sie alle leben von Ackerbau und Fischerei auf Subsistenzniveau. Es gibt ein einziges Krankenhaus und einen einzigen Arzt. Straßen existieren nicht, der Fluss ist der einzige Verkehrsweg. Die einzige höhere Bildungseinrichtung ist ein theologisches Institut.
1999, mitten im Kongokrieg, machte Bolobo Schlagzeilen, als eine Gruppe geflohener Präsidialgardisten des gestürzten Diktators Mobutu aus Kongo-Brazzaville in Bolobo landete und erklärte, sie werde gemeinsam mit dem flussaufwärts herrschenden Rebellenführer Jean-Pierre Bemba Kinshasa erobern. Nach einer Woche wurden sie verjagt. Erst als 2005 im Kongo die Wählerregistrierung begann, erregte Bolobo wieder Aufmerksamkeit, als offiziell 123 Prozent der erwachsenen Bevölkerung als Wähler eingeschrieben wurden. Ein lokaler Mitarbeiter der Wahlkommission sortierte daraufhin die kleinsten Wähler aus, weil sie wohl noch Kinder sein müssten.
Dies entzweite ein Gebiet, wo ein latenter ethnischer Konflikt für Spannungen sorgt: Das Volk der Nunu, das den Fischfang beherrscht und auch die Bevölkerungsmehrheit bildet, wurde erst von der belgischen Kolonialadministration in eine vorherrschende Stellung gegenüber dem Volk der Tende gehievt.
Streit zwischen Nunu und Tende bildete auch die Grundlage für die jüngste Gewalt. Im September verprügelten sich Jugendliche beider Ethnien bei der Ernte. Die verletzten Tende weigerten sich, zur Behandlung ins Krankenhaus zu gehen, weil der Arzt zu den Nunu gehört. Wechselseitige Erntezerstörungen folgten, und bei den Wahlen besiegte Bemba Kabila in Bolobo mit 18.566 gegen 5.583 Stimmen, was ungefähr die Bevölkerungsverhältnisse zwischen Nunu und Tende reflektiert.
Lokale Kommentatoren ziehen schon besorgte Vergleiche mit den ethnischen Kriegen von Ituri, ein Distrikt am anderen Ende des Kongo. In Bolobo gibt es aber noch andere Konfliktgründe. Jahrelang weigerten sich die meisten Leute, nachts im Fluss zu schwimmen, nachdem sie mehrfach im Wasser von Unbekannten angegriffen worden waren. Wenn sie panisch nach Hause rannten, war ihre Kleidung am Ufer verschwunden. Die Opfer waren davon überzeugt, von Krokodilen angegriffen worden zu sein. Im Kongo-Flussbecken ist der Glaube verbreitet, Menschen mit magischen Kräften könnten sich in Krokodile verwandeln. Das würde auch erklären, warum diese Krokodile immer die Kleidung ihrer Opfer mitnahmen, was normale Krokodile nicht tun.
Im Mai wurde der wahre Täter überführt: ein führendes Mitglied der Zeugen Jehovas, der eine Diebesbande rekrutiert hatte. Das verschärfte die Spannungen, denn die Zeugen Jehovas, im Kongo auch als Kitawala bekannt, stehen eher Kabila nahe. Die neue Fluchtbewegung soll aus Kabila-Anhängern bestehen. So kurios manifestieren sich politische Reformprozesse tief im Kongo. DOMINIC JOHNSON