Belgische Nationalhymne: Die falschen Töne
Der künftige belgische Premierminister Yves Leterme verwechselte die Nationalhymne mit der französischen. Etwa mit Absicht?
Wenn das belgische Fernsehen die Szene nicht in Bildern festgehalten hätte, es würde vermutlich niemand glauben: Da singt doch der zukünftige Premierminister von Belgien nicht die belgische Nationalhymne, sondern verwechselt sie mit der französischen Marseillaise. "Allons enfant de la patrie ", trällerte Yves Leterme frohgemut und ganz offensichtlich tatsächlich in der Annahme, dieser Text würde sein belgisches Königreich feiern, nicht aber die benachbarte Pariser Republik. Peinlich berührt war mehr der Fernsehjournalist, der ihn nach einer künstlerischen Kostprobe gefragt hatte.
Dabei hätte dem Flamen Yves Leterme wohl nichts Peinlicheres passieren können am belgischen Nationalfeiertag - der war am Samstag. Eigentlich ist Leterme nämlich damit beschäftigt, seine zukünftige Regierungskoalition zusammenzustellen. Seine Partei, die flämischen Christdemokraten, hatte bei den Parlamentswahlen im Juni die meisten Stimmen erhalten. König Albert II. hatte Leterme mit Koalitionsverhandlungen beauftragt.
Gestern empfing er die Chefs seiner möglichen Partnerparteien, das sind die jeweils flämischen und frankophonen Liberalen und Christdemokraten, um ihnen seinen Vorschlag für ein Regierungsprogramm vorzustellen. Und das ist sowieso schon schwierig genug. Denn die flämischen Parteien aus dem Norden und die französischsprachigen Parteien aus dem Süden sind sich - zum Beispiel was eine mögliche Verfassungsreform betrifft - gar nicht einig. Die Verhandlungen können sich noch über Wochen ziehen. Und Letermes falsches Lied macht ihm die Aufgabe, eine Regierung für ganz Belgien zusammenzustellen, nicht gerade leichter. Viele werfen dem Flamen nämlich sowieso schon vor, sich für Belgien als ganzen Staat nicht sonderlich zu interessieren. Da wurde es auch nicht gerne gesehen, dass der bissige Christdemokrat sich nicht etwa für seine Verwechslung entschuldigt hat, sondern - ganz im Gegenteil - den frankophonen Belgiern vorwirft, sie hätten ihn unflätig angegriffen.
Bei den Wallonen werden sogar schon erste Stimmen laut, die bezweifeln, ob ein Politiker, der noch nicht einmal die Nationalhymne kennt, tatsächlich Premierminister eines Landes werden sollte. Seinen Rücktritt als Verhandlungsführer hat aber noch niemand gefordert. Es wäre zumindest ein Fortschritt, wenn Yves Leterme das nächste Mal schweigen würde, anstatt die Hymne eines Nachbarstaates zu singen.
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