: „Beleuchtung kann ganze Populationen bedrohen“
Tiere können nicht einfach die Jalousien schließen, wenn es zu hell ist, mahnt Wissenschaftlerin Sibylle Schroer. Was es bedeutet, wenn Vögel Burn-out-Erscheinungen haben – und wie wir das Problem ganz leicht lösen können
Interview Katharina Federl
taz: Frau Schroer, Sie forschen seit vielen Jahren zu den Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf Tiere. Wie kann man Licht überhaupt dreckig machen?
Sibylle Schroer: Lichtverschmutzung ist ein lustiger und etwas verwirrender Begriff. Nicht das Licht wird verschmutzt, sondern die natürlichen Bedingungen der Nacht, die Dunkelheit. Ausgangspunkte sind künstliche Lichtquellen, die sich mehr oder weniger auf Menschen, Tiere und Pflanzen auswirken.
taz: Welche Tiere werden von künstlichem Licht besonders bedroht?
Schroer: Vordergründig sind das nachtaktive Tiere wie Fledermäuse, Eulen, Kröten, Falter und viele Käfer. Sie sind besonders gefährdet, weil sie große Augenöffnungen haben, um viel Licht aufzunehmen. Von künstlichem Licht werden sie daher schnell geblendet und gestört. Durch Beleuchtung können sogar ganze Populationen bedroht werden.
taz: Zum Beispiel?
Schroer: Empfindliche Nachtfalterarten – umgangssprachlich Motten – kommen in stark beleuchteten Lebensräumen mittlerweile gar nicht mehr vor. Da würden jetzt viele Gartenbauer natürlich sagen: Toll, die fressen uns doch sowieso den Kohl weg! Aber so einfach ist es nicht, denn durch den Verlust der Falter kommt es zu einer Verzerrung im Ökosystem.
taz: Tieren, die tagaktiv sind, macht künstliches Licht nichts aus?
Schroer: Doch, eigentlich sind alle Organismen betroffen, weil wir evolutionär an einen Tag-Nacht-Rhythmus angepasst sind. Einige Vögel zum Beispiel können ihre Augenlider nicht schließen. Wir Menschen machen einfach die Jalousien zu, wenn es draußen zu hell ist. Das ist in Ökosystemen nicht möglich. Zwar können Vögel zum Teil auch im Flug schlafen. Allerdings brauchen sie die Nacht und die Dunkelheit zur Regeneration, so wie wir.
taz: Was passiert, wenn Vögel unausgeschlafen sind?
Schroer: Sie geraten aus dem Gleichgewicht. Auch das ist so ähnlich wie bei uns Menschen. Licht ist ein Zeitgebersignal: Es löst Hormone aus, um von Stoffwechselprozessen, die in der Nacht stattfinden, in die Aktivitäten des Tages überzugehen. Wird es dunkel, wird ein ganz wichtiges Hormon gebildet: Melatonin. Das sorgt für viele Prozesse, die während des Tages nicht stattfinden können. In der Nacht wird zum Beispiel Fett abgebaut oder unser Immunsystem gestärkt. Bei Kindern läutet es Prozesse für das Wachstum ein. Wird die Nacht durch künstliches Licht gestört, wird die Produktion von Melatonin unterdrückt. Besonders kaltweißes Licht mit hohem Blauanteil ist ein Störfaktor.
taz: Wenn es um die Auswirkung von Kunstlicht auf die Tierwelt geht, ist oft von „Burn-out-Erscheinungen“ die Rede. Was ist damit gemeint?
Schroer: Wird das Hormon Melatonin in der Nacht unterdrückt, wird die Immunantwort heruntergesetzt. Vögel können dann öfter von Infektionen betroffen sein. Auch kann künstliches Licht dazu führen, dass Vögel teilweise bis in die Nacht hinein nach Futter suchen. Sie vergeuden dann viel Energie außerhalb des Nestes und kümmern sich weniger um ihren Nachwuchs. Kurz gesagt: Die Tiere fokussieren sich nicht mehr auf ihre tatsächliche Aufgabe und kommen anschließend zur Ruhe, sondern beschäftigen sich mit allen möglichen anderen Dingen weit über ihren natürlichen Tagesrhythmus hinaus. Auch bei Fischen machen wir ähnliche Beobachtungen.
taz: Was Fische mit Licht zu tun haben, müssen Sie erklären.
Schroer: Kleine und mittelgroße Fische kommen nachts gern in höhere Lagen von Gewässern, weil die Dunkelheit sie vor größeren Raubfischen schützt. Durch Beleuchtung, die auf Gewässer scheint, kann die Auf- und Abwanderung der kleineren Organismen im Wasser unterdrückt werden. Die Verteilung im Ökosystem verzerrt sich auf diese Weise. Auch das Melatonin in Fischen wird nachweislich schon durch sehr geringe künstliche Helligkeit in der Nacht unterdrückt und kann sich auf die Fortpflanzung auswirken.
taz: Seit 2010 machen Sie mit dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei Experimente zu den Auswirkungen von künstlichem Licht auf Seen. Wie sehen die genau aus?
Schroer: Bei einem Experiment im Havelland haben wir zum Beispiel die Leuchtmittel von Straßenleuchten ausgetauscht, die direkt auf die Wasseroberfläche scheinen. Durch die Umrüstung von orangefarbenen Natriumdampflampen auf moderne weißleuchtende LED veränderte sich die Zusammensetzung des Primärwachstums, das ist der grüne Film an Steinen und anderen Dingen in Gewässern. Diese Veränderung ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass moderne, energieeffiziente Beleuchtung die Zusammensetzung von Algen stören kann. Das kann sich auf die Fische auswirken, denn diese Algen sind eine wichtige Nahrungsquelle.
taz: Eine Studie fand 2017 heraus, dass sich die Bestäubung von Wiesenpflanzen in der Nähe von Straßenlaternen um fast zwei Drittel reduziert. Wie ist das zu erklären?
Schroer: Für die Studie wurden Straßenlampen an Orten aufgestellt, die noch nie künstlich beleuchtet wurden. Vorher haben dort Nachtfalter nachts die Blumen bestäubt, dann wurden sie vom Licht angezogen und bei ihrer Aufgabe gestört. Das führte dazu, dass einige Blumenarten weniger vorkamen, die wichtige Nahrungsquellen für tagaktive Bienen sind. Das zeigt uns: Wenn Nahrungsnetze gestört werden, leiden alle. Deshalb sollte man Licht nur dort anbringen, wo man es braucht, und ausschalten, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.
taz: Sogenannte Sternenparks setzen sich genau das zum Ziel: Licht nur dort einzusetzen, wo es unbedingt gebraucht wird.
Schroer: Das ist ein sehr guter Anfang. Die natürlichen Bedingungen der Nacht zu retten funktioniert nur, wenn sich Kommunen zusammentun und gemeinschaftliche Lichtkonzepte entwickeln. Anfang der 2000er Jahre sind wir davon ausgegangen, dass die globale Lichtverschmutzung um 2 bis 6 Prozent pro Jahr zunimmt. Das fanden wir damals schon viel. Heute müssen wir uns mit 10 Prozent pro Jahr abfinden.
taz: Angenommen, ganz Deutschland würde sich an solche Leitlinien halten, könnte die Biodiversität hierzulande gerettet werden?
Schroer: Ja, das ist das Schöne an dem Thema: Wenn wir das Licht ausmachen oder reduzieren, sind die ganzen Konsequenzen weg. Es bleiben keine Rückstände, so wie bei Plastik oder Pestiziden in der Natur. Und gerade in Gegenden, wo Sternenparks zertifiziert wurden, können wir bereits einen Rückwärtstrend erkennen. Das Bewusstsein für den Wert von Dunkelheit muss wachsen.
taz: Die Stadt Fulda wurde wegen ihrer Konzepte zum Schutz der Dunkelheit 2019 als Sternenstadt ausgezeichnet. Ist das auch für Metropolen realistisch?
Schroer: Es wäre jedenfalls ein gutes Ziel. Natürlich ist es ein bisschen schwieriger, denn gerade in Berlin haben wir eine unglaubliche Fülle an verschiedenen Beleuchtungstechniken und auch viel Privateigentum. Aber mit einer Überarbeitung des Berliner Lichtkonzeptes hin zu einer attraktiven Kampagne wäre schon viel getan. Hamburg ist da relativ weit. Dort wurde schon ein Lichtkonzept ausgearbeitet, das sich stark auf ökologische Bedürfnisse ausrichtet.
taz: Haben Sie Hoffnung, dass es in den nächsten Jahren wieder dunkler wird?
Schroer: Die letzte Bundesregierung hat sich 2022 dazu entschieden, das Bundesnaturschutzgesetz zu novellieren. Darin wird auch der Schutz von Tieren und Pflanzen wildlebender Art vor Lichtimmissionen berücksichtigt. Aktuell arbeitet unsere Arbeitsgruppe an einem Gutachten, wie dieser Schutz technisch umsetzbar sein kann. Ob die neue Regierung das Thema gutheißt, weiß ich nicht. Aber Innovationen und Energieeinsparung bieten gute Gründe dafür.
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