: „Belastender“ Anblick
Über den Anblick einer contergangeschädigten Praktikantin beschweren sich Angehörige von Altenheim-Bewohnern. Die bricht ihr Praktikum ab
bremen taz ■ „Ich war fix und fertig“, sagt Ulla Opsölder, nachdem sie ihr Praktikum bei der Bremer Heimstiftung abgebrochen hatte. Die von Geburt an behinderte Frau ist arbeitslos und hatte vom Integrationsfachdienst einen Praktikumsplatz am Empfang des Altenpflegeheims Haus St. Remberti vermittelt bekommen. Doch dann kamen Beschwerden über die Contergangeschädigte: „Einige Angehörige“ hätten „die offensichtliche Behinderung von Ulla Opsölder als belastend“ empfunden, so steht es in einem Papier der Heimleitung.
Ulla Opsölder erfährt von den Vorurteilen bei einem praktikumsbegleitenden Gespräch mit Heimleiterin Jutta Dunker und dem Obmann für Schwerstbehinderte in der Heimstiftung, Martin Germeier. Sie bricht bei dem Gespräch in Tränen aus. Daraufhin bietet Heimleiterin Dunker ihr an, statt am Empfang künftig in der Wohnküche der Station zu arbeiten. Das will Ulla Opsölder nicht. „Ich verstecke mich nicht“, sagt sie später. Das Praktikum hat sie sofort abgebrochen. „Am schlimmsten finde ich, dass die Heimleitung mich nicht unterstützt, sondern gesagt hat, dass sie die Angehörigen verstehen könne“, so Opsölder. Weitere Gesprächsangebote von Jutta Dunker habe sie abgelehnt, weil für sie das Verhalten der Heimleitung nicht entschuldbar sei.
„Wir waren selbst betroffen“ sagt Obmann Germeier zu den Vorurteilen der Angehörigen, so etwas habe man noch nie erlebt. Dass Frau Opsölder das Praktikum sofort abgebrochen und alle Gesprächsangebote abgelehnt habe, sei allerdings „schwierig nachzuvollziehen“, finden er und die Heimleiterin. Man habe Ulla Opsölder zu Beginn des Praktikums gesagt, das es hier nicht nur nette alte Damen gebe, sondern auch scharfzüngige BewohnerInnen. Dunker hätte sich gewünscht, dass Ulla Opsölder bleibt. „Ich hätte mit ihr gemeinsam überlegt, was zu tun wäre“, sagt die Heimleiterin. Ihr Appell an die Frau im Rollstuhl: „Bleiben Sie hier. Zeigen Sie, dass Sie mehr sind als ein Mensch, der behindert ist.“
Seit dem 1. Juli hat Bremen einen Landesbehindertenbeauftragten: Hans-Joachim Steinbrück. Er kann verstehen, dass Ulla Opsölder ihr Praktikum abgebrochen hat: „So etwas ist sehr verletzend.“ Er selber habe ähnliches auch schon erlebt, als er sich auf eine Juristen-Stelle mit Publikumsverkehr beworben habe. „Ich sei als Blinder für die Ratsuchenden unzumutbar“, habe er hintenherum erfahren, so Steinbrück. Diskrimierung, glaubt er, „ist einfach täglich Brot“ für Behinderte. Weil viele Nichtbehinderte im Umgang mit Behinderten befangen seien, versuchten sie, den Kontakt zu vermeiden. So entstehe alltägliche Diskriminierung. Steinbrück: „Bei vielen ist nicht im Bewusstsein, dass Behinderung etwas Normales ist.“ Ihm habe einmal jemand auf der Straße gesagt: „Dass Sie hier einfach so rum laufen als blinder Mensch!“ Für Hans-Joachim Steinbrück ist es eine wichtige Aufgabe in seinem neuen Amt, gegen solche alltäglichen Diskriminierungen vorzugehen. „Was wir Behinderte dazu beitragen können ist, dass wir uns selbst in dieser Gesellschaft zeigen und zu Wort melden und das auch selbstverständlich tun.“
Edith Diewald