piwik no script img

Bekennende Hippies

■ Senatsrock-Wettbewerb: »Genetic Drugs« und »Herr Blum« im Loft

Worldradio ist nicht greifbar. Ein akkustisch-visueller Flickenteppich, traumhaft verzerrte Realität, irgendwo im Niemandsland zwischen Sendeschluß und Morgennachrichten, zwischen Transitstrecke und Golfkrieg«, beschrieb Andreas Kaiser in einer taz-Kritik das mittlerweile ein Jahr alte Multimediaprojekt der Genetics Drugs, das eine Verbindung von Musiken der Welt und Videofilmen versucht. Doch weh! — in welchem Zustand zeigte sich die Weltmusik, die die Kämpen um Norbert Stolz am zweiten Spieltag der Berliner Rockmusik-Landesausscheidung aufführten!

Aufrechter Schweinerock und zahnplombenlösender Gesang von Ex-Deep-Cantante-Aki (»Ich hab' die Soulmusik erfunden«) Murray, vermengt mit Kurzwellenschnipseln vom Band und Einlagen sphärischer Synthie-Seligkeit waren wenig angetan, in neue »Wirklichkeitsebenen« zu transzendieren. Ohne die fröhlich flickernden Videofilme, die »ständig aktualisiert« einen Mißstand der Welt nach dem anderen zeigten, blieben von der Nummernrevue wenig mehr als schlecht geklaute Zitate von Laurie Anderson, Brian Eno und Mother's Finest übrig.

Sounddiebe ganz anderer Güte dagegen sind Herr Blum, die den mit 150 StudentInnen mäßig gefüllten Saal in ein Ton- und Bildatelier verwandelten. Während Vater Jürgen Wagner in Spasmen sich windend wohlriechende Aktionsmalerei auf der mit Plastikplanen ausgeschlagenen Bühne präsentierte, zauberte Sohn Thomas Discotheken-Tanzhits einer kommenden Saison aus dem Sampler. Dazu gab es Betroffenheitslyrik wie »Die Flüsse sind vergiftet, die Luft ist verpestet« im Jargon — und leider auch mit der Stimme — des jungen Rio Reiser zu hören. Alles am Auftritt des langhaarigen Vater-Sohn-Duos erschien wahr, aufrichtig und pathetisch, nur leider ist nichts wirklich von ihnen. Echter als die Originale repetierte der junge Herr Wagner Versatzstücke von den Einstürzenden Neubauten bis zu Wubbel-Linie und House-Beats, abgeschmackt abgeschmeckt durch tremolierendes Gitarrenspiel. Daß für jeden Geschmack etwas dabei war, war womöglich der Grund dafür, daß das Publikum den ohne Fanclub angereisten Herrn Blum stehende Ovationen spendete. Ob die beiden Herren selbst in kritischer Distanz zu ihrem Potpourri durch die Geschichte der undogmatischen Linken stehen, schien nach dem achten Gitarrensolo zumindest fraglich. Stefan Gerhard

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen