Bekanntes Weblog gepfändet: "Nerdcore vs. Euroweb - this will be fun"
Der Internet-Dienstleister Euroweb hat die Domain eines der bekanntesten Blogs gegen den Willen des Betreibers übernommen. Vorausgegangen war eine Abmahnung.
"Sagen wir mal so: Ich hab ihre Webdesignfähigkeiten in Frage gestellt. Und das Preis-Leistungsverhältnis." René Walter will ausnahmsweise nicht undiplomatisch klingen. Am Dienstag hat der Internet-Dienstleister Euroweb die Domain seines Blogs Nerdcore überschrieben bekommen. Nerdcore, ein Liebhaberblog für Pop im allgemeinen, Zombies, Star Wars und Artwork im besonderen, ist eines der reichweitenstärksten deutschen Blogs. Bis Dienstag. Da wurde die Zwangsvollstreckung vollzogen. Jetzt gehört die Domain der Euroweb Internet GmbH.
Wie es dazu kam, dazu hat sich René Walter zuvor etwas undiplomatischer geäußert: "Ich wurde im Sommer letzten Jahres von Euroweb abgemahnt", sagte er blog.rebellen.info, "weil ich sie als die Arschgeigen bezeichnet habe, die sie sind. Und ich hab mich um die Abmahnung nicht gekümmert. Dafür zahle ich jetzt die Rechnung."
Nachdem Euroweb die - wie René Walter gegenüber der taz betont - "ohne Frage justiziablen" Äußerungen abgemahnt hatte, nahm Walter nach seinen Angaben den Artikel vom Netz, reagierte allerdings nicht auf die Zahlungsaufforderungen. Es kam zur Verhandlung, Walter erschien nicht und verlor, zahlte aber die entstandenen Gerichtskosten nicht. Daraufhin beschloss das Amtsgericht Tiergarten, Nerdcore pfänden zu lassen.
"Ich wehre mich gegen diffamierende Äußerungen gegen das Unternehmen und seine Mitarbeiter", sagte Christoph Preuß, Geschäftsführer der Euroweb, der taz. Es handle sich nicht um einen Rachefeldzug und er habe kein Interesse daran, sich an der Domain zu bereichern. Stattdessen solle Nerdcore nächste Woche zu einem guten Zweck versteigert werden. Der Betrag gehe zu gleichen Teilen an die Wikipedia und den Freischreiber e.V.
Auf die Frage, ob er nicht fürchte, dass jene Äußerungen über Unternehmen und Mitarbeiter gerade jetzt an prominenter Stelle im Netz auftauchen werden, antwortete Preuss: "Ich weiß, in den Guides zum Umgang mit Bloggern steht, man soll das anders machen, aber ich sehe das nicht so. Ich will mich nicht beleidigen und einschüchtern lassen."
Euroweb war schon in der Vergangenheit ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. 2005 hatte die Firma die Löschung kritischer Kommentare auf dem Webportal gulli.com verlangt – die Betreiber fürchteten Gerichts- und Anwaltskosten und nahmen die Beiträge offline. Worüber wiederum in dem ein oder anderem Blog berichtet wurde. Woraufhin Euroweb wiederum um Löschung von Kommentaren oder Artikeln bat beziehungsweise drohte, juristisch einzuschreiten. Worüber wiederum ein paar mehr Blogs berichteten. Woraufhin Euroweb... Worüber wiederum noch mehr Blogs... Kurzum, es wurde ein sogenannter Shitstorm daraus, eine einseitige Online-Attacke also, auf den auch die traditionelle Presse reagierte.
Noch in diesem Jahr wurden kritische Beiträge vom WDR über das Geschäftsgebahren der Firma von Videoportalen gelöscht. Der WDR hatte Kunden zu Wort kommen lassen, die sich von Euroweb getäuscht sahen. Nachdem sie sich eine Seite von Euroweb hatten erstellen lassen, hätten sie erst später gemerkt, dass es sich um einen kostspieligen Mietvertrag, nicht um einen Kaufvertrag gehandelt habe.
Was die Zukunft von Nerdcore anbelangt, gibt sich René Walter gelassen: "Mir ist im Grunde egal, was passiert. Ich hab eh Bock auf was Neues, vielleicht ist das jetzt die Gelegenheit." Er hat trotzdem einen Anwalt eingeschaltet, sicher ist sicher. Derweil sind die Blog-Inhalte auf Crackajack.de untergebracht. Auf Twitter freut er sich bereits auf die Auseinandersetzung: "Nerdcore vs. Euroweb. This will be fun." Und kündigt selbst den nächsten Shitstorm an: "This is nothing." Bis jetzt war das noch gar nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen