Beim Indie-Rock angekommen: „Britta“ weihen am Sonnabend das neu gestaltete Indra ein : Seidentäschchen aus Schweineohren
„Man kann doch aus Schweineohren keine Seidentäschchen machen“, lautet eine Textzeile auf ihrem neuen Album. Man weiß bei Britta nie, ob so was nun gut aufgestöbert oder unfassbar gut selbst geschrieben ist. Bei der zitierten Phrase handelt es sich um ein Sprichwort aus dem Englischen, was aber im Textumfeld kaum auffallen mag. Den Witz in traurig stimmenden Verhältnissen finden, die eigene Sprache unentwirrbar mit der vorgefundenen verkoppeln: In diesem Sinn fertigen Britta ja eigentlich doch Luxusgüter aus Stinkendem.
Seit drei Platten geht die Berliner Band so vor. Auf die Songwriter-mäßige Irgendwas ist immer folgte Kollektion Gold, wo sich ein Wandel von „der Band Christiane Rösingers“ hin zur „Band“ andeutete. Keyboarderin Rike Schuberty ist mittlerweile schweren Herzens gegangen. Dafür spielen Britta jetzt endgültig klassischen Indie-Rock. In mittleren Tempi schrubben Gitarren – manchmal nicht weit vom Lärm – den Boden aus geradem Beat und Melodie-Bass. Eine neue Geschlossenheit zeichnet sich ab: Schon der Plattentitel Lichtjahre voraus strotzt vor Kraft.
„Wir spielten in Mainz auf einem Kulturfestival. Hinterher kam so ein ewiger Student zu unserem Merchandising-Stand. Und dieser feine Mensch meinte die ganze Zeit: „Ihr seid Blumfeld um Lichtjahre voraus!“, erzählt Texterin, Sängerin und Gitarristin Christiane Rösinger von der Begebenheit, in deren Anschluss die Platte ihren Namen fand. Kurz habe man sogar Blumfeld um Lichtjahre voraus in Betracht gezogen. Deren Jochen Distelmeyer das „super gefunden hätte“, wie Bassistin Barbara Wagner erzählt.
Seit langem miteinander befreundet, gehen die beiden Gruppen im November gemeinsam auf Tour. Zudem eint sie, dass sie zu den raren Bands deutscher Sprache gehören, die tatsächlich auch wegen der Texte angehört werden.
„Ein Lachsgericht von Aldi war ich/ Mit erlesenen Kräutern dran/ Ein alter Saab, von dem man/ Die Ersatzteile ganz schwer kriegen kann“, kündet Rösinger zum Beispiel von ihren Erfahrungen mit dem „Chinesischen Roulette“. Ein böses Spiel ist das, in dem die Teilnehmenden mit dem Bild konfrontiert werden, das andere sich von ihnen machen. Eine Person verlässt die Runde, während drinnen eine andere teilnehmende Person bestimmt wird. Die gilt es nun für die Ausgeschlossene zu erraten – mittels Fragen wie: „Was wäre die Person als Auto?“
„Warum es ‚Chinesisches Roulette‘ heißt, weiß ich nicht“, sagt Rösinger. „René Pollesch hat erzählt, ein Fassbinder-Film hieße so. Darin komme die ganz harte Frage vor: ‚Was wäre die Person im Faschismus gewesen?‘“
Mit dem Theaterregisseur haben Britta beruflich zu tun: Am Vortag ihres Hamburger Auftritts, mit dem sie die neu gestaltete und den regelmäßigen Betrieb wieder aufnehmende Konzertschuppen-Legende Indra einweihen, spielen sie in der Berliner Volksbühne zur Premiere von René Polleschs vierteiliger Soap 24 Stunden sind kein Tag, die Ende November auch auf 3sat laufen wird. Britta nehmen in der Seifenoper die Rolle des Brecht‘schen Chors ein: Im Hintergrund kommentieren ihre Songs die Handlung. „Es geht“, sagt Christiane Rösinger, „um Arbeitsverhältnisse, um die Warenförmigkeit von allem. Liebe ist Porno, man muss für alles bezahlen.“ Es geht also, wenn man so will, auch da um den ganzen Gestank.
CHRISTOPH BRAUN
mit DJ Minibar04: Sonnabend, 20.30 Uhr, Indra (Große Freiheit 64)