: Bei der Parteivereinigung nicht lange fackeln
Die Sozialdemokraten in der DDR wählen am Wochenende einen neuen Parteivorsitzenden / Es kandidieren die Pastoren Gottfried Timm und Dankwart Brinksmeier und der Germanist Wolfgang Thierse / Die Vereinigung der Parteien steht noch in diesem Jahr bevor ■ Von Brigitte Fehrle
Berlin (taz) - Der West-SPD Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat seinen Genossen im Osten die Markierungen schon vorgegeben. Er, so stellte er klar, werde nach der Vereinigung der beiden Parteien selbstverständlich Vorsitzender der Sozialdemokraten in Deutschland bleiben. Kein Wunder, daß die Personaldebatte in der SPD der DDR über einen neuen Vorsitzenden, die am Samstag auf der Tagesordnung der Delegierten in Halle steht, niemand zu leidenschaftlicher Anteilnahme reizt. Interessant wird vor allem ein Thema: Wann werden sich die Sozialdemokratischen Parteien in West und Ost vereinigen.
Für den Parteivorsitz steht der derzeit amtierende Vorsitzende, Außenminister Markus Meckel, nicht zur Verfügung. Er hatte den Vorsitz im Frühjahr von Ibrahim Böhme übernommen, als der, bis zur Klärung der Stasi -Vorwürfe gegen ihn, zurücktrat. Böhme selbst kandidiert ebenfalls nicht mehr, sondern schlug dem Vorstand den 34jährigen Pastor Dankward Brinksmeier vor. Brinksmeier gilt als leidenschaftlicher und energischer Politiker. Er war Mitglied in der Regierungskommission zur Auflösung der Staatssicherheit und während der Koalitionsverhandlungen für den Posten des Innenministers im Gespräch.
Sein Mitbewerber um das Amt des Parteivorsitzenden gleicht ihm in zwei Dingen. Er ist ebenfalls Pastor und ebenfalls 34 Jahre alt. Gottfried Timm gilt allerdings im Gegensatz zu Brinksmeier als ein „kühler“ Mecklenburger, war in den zurückliegenden Monaten für den Kommunalwahlkampf verantwortlich und hat sich in die Wirtschaftspolitik eingearbeitet. Beide wurden vom Bundesvorstand nominiert.
Leidenschaft kam bei ihrer Tingeltour durch die Landesverbände allerdings keine auf. Schon wieder Pastoren, stöhnt so manches SPD-Mitglied und wünscht sich in der Führungsspitze mal was anderes. Nicht zuletzt deshalb wird der Parteitag noch einen dritten Kandidaten präsentiert bekommen. Der Landesverband Brandenburg will den 46jährigen ehemaligen Schriftsetzer und jetzigen Germanisten Wolfgang Thierse zum Parteivorsitzenden vorschlagen. Der Berliner ist stellvertretender Vorsitzender der Volkskammerfraktion. Unterstützung haben ihm auch Parteifreunde aus anderen Bezirken zugesagt.
Daraus, daß am Samstag in Halle drei Kandidaten antreten, zu schließen, daß drei Flügel der Partei ihre jeweiligen Leute zur Wahl stellen, wäre falsch. Die derzeit etwa 35.000 Mitglieder zählende Partei läßt sich kaum in politische Kategorien von Rechts und Links einteilen. Nachdem die SPD die Regierungskoalition mit der CDU eingegangen war, gab es eine landesweite Austrittswelle. Wie Funktionäre vor Ort berichten, waren die Gründe dafür ganz unterschiedlich. Es haben sowohl Linke die Partei verlassen, weil sie die Koalition nicht mittragen wollten, aber auch Leute, die über das schlechte Wahlergebnis enttäuscht waren und sich lieber einer stärkeren Partei anschließen wollten.
Die SPD hatte bislang gar nicht die Zeit, Profil und damit auch unterschiedliche Flügel herauszubilden. Die programmatische Debatte innerhalb der Partei ist kaum vorhanden. Und so wird ein wichtiges Kriterium, nach dem sich die Genossen bei der Wahl ihres Vorsitzenden richten werden, sein, wie sie es mit der Vereinigung der SPD in Ost und West halten wollen. Von den 23 Anträgen, die die Delegierten am Wochendende zu beraten haben, nimmt rund ein halbes Dutzend dazu Stellung.
Dabei kann es einigen Genossen gar nicht schnell genug gehen. Ein Bezirk fordert, gar keinen Parteivorsitzenden mehr zu wählen, sondern sich so schnell wie möglich mit der SPD-West zu vereinigen. Die Brandenburger wollen den Vereinigungsparteitag schon am 22.September einberufen. Die Begründung: „Wir müssen auf mögliche Gesamtdeutsche Wahlen am 2.Dezember vorbereitet sein.“ Und auch der Landesgeschäftsführer der Thüringer SPD, Ritter, geht davon aus, daß die Parteivereinigung in jedem Fall noch in diesem Jahr stattfinden soll. Ritter: „Da soll man gar nicht lange fackeln.“
Der Vorstand will den Delegierten einen anderen Vorschlag machen. Der Termin für die Parteivereinigung soll gekoppelt werden an den Termin für gesamtdeutsche Wahlen. Zwischen drei und sechs Monaten vor dem Wahltermin, so der Antrag des Vorstands, sollen sich Sozialdemokraten in Ost und West zusammenschließen.
Das schließt - ohne daß ein neuer Beschluß nötig wird - die „Crashlösung“ mit ein. Sollten, was die Sozialdemokraten in Ost und West nicht wollen, die gesamtdeutschen Wahlen am 2.Dezember stattfinden, könnte der Parteizusammenschluß Ende September erfolgen.
Der neue Vorsitzende, wie immer er heißen mag, hat eine schwere Aufgabe vor sich. Er muß eine organisatorisch und programmatisch schwache Partei in die Einheit mit der großen Schwester im Westen führen. Und das nicht irgendwie, sondern, gemäß dem SPD-Slogan, mit „Würde und Anstand“.
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