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Archiv-Artikel

Bei Soja Ziv wird selbst ein Schuhkauf zum geschichtsträchtigen Erlebnis Als die Russen West-Berlin retteten

VON ESTHER SLEVOGT

DIE LEUTE VOM KURFÜRSTENDAMM

Etwas weiter oben am Kurfürstendamm wird es definitiv schick und teuer. Die Kundschaft der internationalen Modeketten von H&M bis Zara verirrt sich hierher nur selten. Hier findet man den exklusiven Schuhladen „Soana“, dessen Name sich aus den Vornamen seiner beiden Inhaberinnen Soja Ziv und Anna Brodski zusammensetzt. Und obwohl die teuersten Schuhe hier locker über 800 Euro kosten (zum Beispiel ein paar wirklich hinreißend schöne rehbraune Overknee-Stiefel aus Wildleder), findet man auch mit weniger üppig gefülltem Geldbeutel noch tolle Schuhe hier.

Das sei Programm, sagt Soja Ziv, eine der beiden Inhaberinnen. Hier fänden junge Mädchen Schuhe für den Abiball (ohne ihre Eltern zu ruinieren), aber auch Promis ihr Glamourschuhwerk für den roten Teppich. Auffallend viele junge Frauen kommen während unseres Gesprächs in den Laden, die aussehen, als kämen sie direkt vom Laufsteg aus Mailand oder Paris. Ihre Fragen nach den Schuhen stellen sie auf Russisch, und in dieser Sprache werden sie auch beraten. Denn ein wesentlicher Glamourfaktor am Kurfürstendamm sind die Berliner Russen. Und die russischen Touristen, die nach Berlin zum Shoppen kommen.

Die Geschichte des Kurfürstendamms wäre anders verlaufen, hätte es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht den Kundenzuwachs aus dem real nicht mehr existierenden Sozialismus gegeben. Denn damals drohte die Meile im Muff mittelmäßiger Wohlstandsbehäbigkeit zu verspießern. Verdüsterte doch der Wilmersdorfer Witwen- und Sahnetortenprotz allen Hedonismus, der ja mit Luxus auch einhergehen kann. Aber dann kamen die geschmackssicheren wie in Sachen Konsum von geradezu heißhungrigem Nachholbedarf besessenen ehemaligen Sowjetbürgerinnen und -bürger. Inzwischen bilden sie einen festen Kundenstamm, sind nicht selten Überlebensgarant der vielen Zweigstellen der internationalen Luxuslabels von Gucci bis Bulgari und Prada, die inzwischen am Kurfürstendamm wie Perlen sich aneinanderreihen.

Längst kommt keiner mehr ohne russischsprachige Verkäuferinnen aus. Da aber der Kurfürstendamm auch eine Waffe im Kalten Krieg gewesen ist, spürt man unter der glitzernden Oberfläche seiner Gegenwart immer noch Friktionen und Reflexe der alten Gegnerschaft. Und auch Soja Ziv, als Kind aus Odessa in den Westen gekommen, guckt immer mal wieder fragend in meine Richtung, was ich wohl angesichts ihrer russischsprachigen Kunden für ein Gesicht mache. Sie berichtet von gelegentlichen Irritationen alteingesessener, nicht russischsprachiger Kunden, was sie so aber lieber gar nicht in der Zeitung lesen möchte. Will sie doch gerade ihren Altwestberliner Kundenstamm nicht verschrecken. Was hier aber nun doch geschrieben wird, weil die Schuhe und der Laden zu schön sind und auch das Problem zu repräsentativ für das neue Berlin: wo der Konsum die nur notdürftig verheilten Narben der Vergangenheit eben nicht wirklich bedeckt. Wo selbst ein Schuhkauf zum geschichtsträchtigen Erlebnis werden kann. Was einem Laden wie „Soana“ erst recht das Potenzial zum Kultgeschäft gibt. Von seinen Schuhen mal ganz abgesehen.