Behindertenbetreuung: Linker Verein wird Pflegefall

Die Ambulanten Dienste wurden als Alternativprojekt zur Betreuung Behinderter gegründet. Jetzt will die Geschäftsführung die Löhne deutlich senken und riskiert den Betriebsfrieden

Bild: AP

Von dem gemeinnützigen Verein Ambulante Dienste (AD) haben die Beschäftigten einen solchen Schritt nicht erwartet: Die Geschäftsführung will die Einstiegsgehälter von derzeit 10,27 Euro pro Stunde auf 8,60 Euro senken. Das wollen die Mitarbeiter nicht zulassen: "Ambulante Dienste e. V wird zu einem Betrieb für Billigpflege und entfremdet sich nicht zuletzt dadurch von seinem emanzipativen Anspruch", heißt es in einer Erklärung des Betriebsrats. Er wirft der Geschäftsführung "Niedriglohnpolitik" vor.

Dieser Fall ist deshalb so brisant, weil der Verein einst als linkes Projekt ins Leben gerufen wurde und dieses Image bis heute pflegt. AktivistInnen der Hausbesetzerbewegung hatten 1981 die AD gegründet, mit dem Anspruch, Körperbehinderten "ein möglichst selbstbestimmtes Leben" zu ermöglichen. Anders als bei anderen Pflegeanbietern, bei denen der Arbeitsablauf streng normiert ist, sollen die Pflegeassistenten der AD sich ausschließlich nach den Bedürfnissen der behinderten Menschen richten.

Ungelernte Pflegeassistenz war dabei von Beginn an Konzept: Anders als ausgebildete Pfleger sollten die AD-Beschäftigten den Behinderten nicht mit medizinischem Wissen vorschreiben, was sie dürfen und was nicht. AD folgte den Leitlinien der "Krüppelbewegung", Körperbehinderte als mündige und gleichwertige, wenn auch schutzbedürftige Partner anzuerkennen. Das Konzept erfreut sich bis heute großer Beliebtheit: Rund 550 Assistenten beschäftigt der Verein inzwischen. Das macht ihn in Berlin zum größten Anbieter von Pflegeassistenz.

Zum Gründungsanspruch gehörte allerdings auch, dass die geleistete Arbeit angemessen entlohnt wird. Bei 10,27 Euro lag das Einstiegsgehalt bisher - was bei weitem nicht dem Spitzensatz im Pflegebereich entspricht. Doch viele der Beschäftigten arbeiteten aus Überzeugung für die AD - das ist typisch für linksalternative Projekte.

Mit diesem Betriebsfrieden ist es nun vorbei: Die Geschäftsführung will bei Neuanstellungen nur noch 8,60 Euro bezahlen, studentischen Kräften gar nur noch 7,60 Euro. Damit liege das Lohnniveau im Vergleich zu anderen Pflegedienstanbietern in Berlin an der "untersten Grenze", kritisiert Carsten Does, Beschäftigter bei AD. Zudem sollen die Mitarbeiter erst nach zwei Jahren eine Festanstellung erhalten. Selbst dann sei nicht gewährleistet, ob der derzeit für sozialversicherungspflichtige Assistenten übliche Stundenlohn gezahlt werde. Does befürchtet Auswirkungen auf alle Beschäftigten. Bei der Vergabe der zu Betreuenden würden nach und nach die alten Beschäftigten durch neue "Billigkräfte" ersetzt. Betriebsintern würde ein Verdrängungswettbewerb stattfinden.

Die Geschäftsführung verteidigt ihre Entscheidung. Viele Jahre hätten die AD Studenten beschäftigen können, bei denen weniger Sozialversicherungsabgaben anfallen, sagt Geschäftsführerin Uta Wehde. Doch der zeitliche Aufwand für das Studium nehme seit einiger Zeit zu; Studierende seien zudem aufgrund starrer Unterrichtspläne weniger flexibel. Die Folge: Studentische Aushilfskräfte bleiben laut Wehde aus. Deswegen müssten verstärkt Nichtstudenten eingestellt werden - was gleichzeitig höhere Sozialabgaben bedeute. Dies habe man im neuen Einstiegsgehalt berücksichtigen müssen. Denn, so Wehde, mehr Geld stehe vom Senat nicht zur Verfügung.

Diese Entwicklung hätte man schon vorher absehen können, wirft Does der Geschäftsführung wiederum vor. Zudem habe es der Verein in den vergangenen Jahren versäumt, neue Geschäftsfelder zu erarbeiten. Die Kompetenzen zum Beispiel für eine Ausweitung der Pflegeassistenz auf behinderte Jugendliche hätten die Beschäftigten durchaus, so Does. Aber so marktwirtschaftlich würde der Verein dann doch noch nicht ticken.

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