Behinderte und andere Hipster: Hamburger Schule
■ Purer Rock: Station 17 im Pfefferberg
Sie sind Musiker aus Hamburg. Das sieht man sofort, denn sie bemühen sich, möglichst cool auszusehen, und sie sind – was den Sound angeht – ziemlich hip. Dennoch ist der Jeansjackenanteil an diesem Freitagabend im Pfefferberg spürbar höher als sonst, und die Zahl der Hipster ist angesichts der ganzen Coolness ein bisschen sehr gering. Vielleicht liegt es daran, dass die Hälfte der Musiker deutlich sichtbarer gehandicapt sind, als man es sonst von einem Konzert gewohnt ist.
Damit haben die Besucher eines Konzertes der Band Station 17 offensichtlich größere Probleme als die Musiker. Denn Station 17 ist eine Band, die sich in erster Linie aus Bewohnern der Evangelischen Stiftung Alsterdorf zusammensetzt und deren geistige Verfassung nicht immer den in Deutschland gern gesehenen Normen entspricht. Zu ihnen gesellen sich in wechselnden Zusammensetzungen Gastmusiker, die sogar mal Prominente wie DJ Koze oder F. M. Einheit sind. Dennoch ist die seit über fünf Jahren bestehende Band Station 17 alles andere als ein paternalistisches Behindertending mit Tortenbasar und Sitztanz. Sie wollen sich nicht in irgendeiner Form als Freak-Show vermarktet wissen. Und sie verstehen sich auch nicht als singende und klingende Prinzhorn-Sammlung. Das heißt: Sie produzieren keine irgendwie pittoresk wirkende Behindertenkunst, und sie sind nicht obskur. Ihre Auftritte sind nur leider nicht einfach normal in dieser Welt.
In diesem Monat sind Station 17 mit ihrer vierten CD auf Tour. Ihr Label What's so funny about schwärmt davon, dass „Bravo“ die erste Platte sei, auf die sich restlos alle Musiker komplett einigen können. Das merkte man dem Konzert in jeder Hinsicht an. Man konnte Musikern zuhören, die mit großer Lust ihre Stücke spielen, und es wurden auch die Stücke derjenigen Bandmitglieder gespielt, die nicht mit auf Tour waren. Das ist ein Kunststück, das mit einer weit über zehn Köpfe zählenden Band und einem nicht gerade kleinen Anteil Egozentrikern nicht ganz einfach zu bewältigen ist.
Ein Station-17-Song geht so: Über einen fordernden Beat – Schlagzeug, Percussions oder Loops – wird mit dem Saxofon, der Stimme oder der Orgel improvisiert. Das lässt neue, zum Teil disharmonische Stücke entstehen, in denen das Soloinstrument allerdings voll zu seinem Recht kommt. In den meisten Stücken wird dazu noch gesungen. Manchmal machen Station 17 anstrengend frickeligen Jazz, und manchmal gibt es besten Rock.
Am Freitag war es purer Rock. Alle Musiker waren locker, und trotz einiger Pannen am Mischpult lief die Show perfekt ab. Insbesondere beim Improvisieren hat die Band das Zusammenspielen im Griff. Das Publikum, das den Saal etwa zur Hälfte füllte, konnte mächtig mitgehen. Und offensichtlich war kaum einer gekommen, um sich hier praktische Behindertenarbeit anzusehen. Ein gutes Konzert, nichts weniger. Jörg Sundermeier
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