Beginn der 60. Berlinale: Der Teppich ist das Zentrum
Am Mittwoch beginnt die Berlinale. Das Film-Festival ist mehr als ein Fest, mehr als ein Ereignis - es ist ein "Event". Warum eigentlich? Und dient das noch dem Kino?
Die Berlinale ist ein großes Fest. Aber das ist noch zu wenig gesagt. Mit vollem Titel heißt die Veranstaltung, die in den kommenden Tagen die Hauptstadt in den alljährlichen kulturellen Ausnahmezustand versetzen wird, "60. Internationale Filmfestspiele Berlin". Mehrere tausend Medienvertreter aus aller Welt haben sich für das Ereignis angemeldet. Darunter sollen auch einige Filmkritiker sein. Denn der Großteil des Medientrosses besteht aus Journalisten mit dem Auftrag im Gepäck, Schnappschüsse, Anekdoten und vielseitig einsetzbare Statements der versammelten Berühmten und Schönen abzuliefern. Tränen und Lächeln. Emotionen und "Human Interest". Sehen und Gesehenwerden. Um was sonst geht es im Kino? Geht es um "den Film", oder um die Stars, das ganze Drumherum? Sollte man beides überhaupt unterscheiden?
Unter Fotografen ist ein Stehplatz am roten Teppich trotz klirrender Berliner Februar-Kälte um Welten begehrter als ein bequemer Sessel im beheizten Berlinale-Palast. Der Teppich ist das Zentrum. Auf dem Weg ins Kino stellt sich das, was Kino ist, schon selbst zur Schau. Vor dem Film ist im Film. Daher ist die Berlinale nicht einfach nur eine "Filmschau", sondern ist: "Festspiele". Im Plural, wohlgemerkt. Denn es geht um alles, und für alle muss etwas dabei sein.
Art-House meets Glamour. Bei "Berlinale goes Kiez" führt das Festival ausgewählte Filme in Berliner Programmkinos auf. Für die Galavorstellungen wird der "fliegende rote Teppich" ausgerollt und das Filmteam zu Gast sein. Jeweils ein prominenter Berliner Filmschaffender wird als Kinopate die Filme vorstellen. Folgende Kinos werden bespielt: Odeon (Schöneberg), Toni & Tonino (Weißensee), Neue Kant Kinos (Charlottenburg), Adria (Steglitz), Hackesche Höfe Kino (Mitte), Neues Off (Neukölln), Capitol Dahlem (Zehlendorf), Moviemento (Kreuzberg), Eva Lichtspiele (Wilmersdorf), Union Filmtheater (Köpenick). Infos unter www.berlinale.de
Will man üblicherweise jemanden feiern, werden dem zu Ehrenden Geschenke überreicht und Lobreden gehalten. Mit dem Kino ist das nicht so einfach. Man kann keine Leinwand mit Rosen bewerfen oder einem Kinosaal ein selbstgereimtes Gedicht vortragen. Während ein Film vorgeführt wird, hat man sich möglichst still zu verhalten. Alles andere gilt als respektlos. Erst am Ende darf man klatschen, nur ist der Film dann schon vorbei. Der Film selbst tritt nicht vor den Vorhang und verbeugt sich. Dafür hat man die Filmschaffenden, die Haupt- und Nebendarsteller, die Regisseure, Autoren und Produzenten. Die nehmen Lob und Würdigung aber nur stellvertretend für den Film entgegen. Wie wird "der" Film selbst gefeiert?
Das ist die Zwickmühle aller Filmfestspiele: Will man Filme feiern oder Filme sehen? Feiern, das heißt: bunte Verpackung, aufwändige Abendgarderobe, Blitzlicht, Festakte und Ansprachen. In einem Wort: Ablenkung vom Film. Filme sehen heißt stillzusitzen. Aber so stellt sich keine Feststimmung ein. Hinzu kommt, dass die Berlinale in diesem zum sechzigsten Mal stattfindet. Man hat also gleich zwei Dinge zu feiern: das Kino und sich selbst.
Also fällt das ganze Drumherum in diesem Jahr noch aufwändiger aus als sonst. Die Berlinale will und muss Aufmerksamkeit schaffen. Für den Film und für sich selbst. Und sie legt sich mächtig ins Zeug dafür. Eine Fotoausstellung ist das Erste, was in diesem Jahr vom Festival zu sehen war. Unter dem Titel "Starparade" wurden Ende Januar im Stadtraum Dutzende großformatiger Starporträts von Cate Blanchett bis Kate Winslet in Lichtkästen aufgestellt.
Überhaupt überschreitet das Filmfest die Grenzen des Potsdamer Platzes und der Kinosäle mehr denn je. Am Brandenburger Tor entsteht die Kunstinstallation "Vorhang auf - The Curtain" der koreanisch-amerikanischen Künstlerin Christina Kim: eine riesige reflektierende Oberfläche, zugleich Leinwand und Vorhang. Das Material: Recycelte Billboards, DVDs und andere Fundstücke aus der Filmwelt. Wer der Kälte trotzt, kann dort am 12. Februar die Übertragung der Welturaufführung der Neufassung von Fritz Langs "Metropolis" aus dem Friedrichstadtpalast verfolgen. Fanmeilenatmosphäre inklusive. "The Curtain" wird bis zum 15. Februar zu sehen sein.
Brücken zwischen Kunst und Kino schlägt das "5. Forum Expanded", das Sonderprogramm des "40. Internationalen Forums". Für dieses doppelte Jubiläum erweitert "Expanded" sich selbst und präsentiert nicht nur filmische Installationen und kuratierte Videovorführungen im Umfeld des Arsenal-Kinos, sondern bezieht Theater und Galerien mit ein: Unter anderem werden im Hebbel am Ufer Performances von Christof Schlingensief, Constanze Ruhm, Ian White und James Benning zu erleben sein. Die Akademie der Künste widmet sich der Wiederkehr des Strukturellen Kinos. Im Hamburger Bahnhof zeigt Heinz Emigholz seine Filmarbeiten der 70er-Jahre. Brücken zwischen Art-House und Glamour schlägt das Programm "Berlinale goes Kiez", das Berlinale-Filme in Programmkinos bringt (siehe Kasten). Brücken zwischen Kino und Küche schlägt die Reihe "Kulinarisches Kino".
Als die Berlinale vor sechzig Jahren von den Alliierten gegründet wurde, um als "Schaufenster der freien Welt" politische Zeichen gen Ostblock zu senden, bestand sie aus Filmfest plus Retrospektive. Mittlerweile sind Forum, Panorama, Perspektive Deutsches Kino, Berlinale Shorts, Berlinale Special, Hommage, Generation und Kulinarisches Kino hinzugekommen. Es geht um Boulevardnachrichten. Es geht um Standortförderung. Es geht um Kosmetikwerbung.
Soziologen sagen zu solchen Entwicklungen: "Eventisierung", was ein hässliches Wort ist, das wenig erklärt, weil es nicht viel mehr heißt als: Ein Ereignis findet statt. Man darf gespannt sein, ob einer der Referenten der Diskussionsveranstaltung "Berlinale Keynotes" die Vokabel gebrauchen wird. Dort stellen "Architekten, Urbanisten, Trendforscher und Filmemacher ihre Ideen zur Zukunft des Kinos, seiner Architektur, seiner soziologischen Funktion und der urbanen Umgebung" vor (14. Februar, 14-18 Uhr, Neue Nationalgalerie). An der Reihenfolge der Referenten im Presseheft lässt sich ablesen, welche Rollen für das Kino und seine Festspiele als relevant gelten: Repräsentation, Stadtmarketing, Flaggschiff der Kulturindustrie. Mit der Verborgenheit im Inneren des dunklen Saals ist es wohl tatsächlich vorbei. Das Kino wird von innen nach außen gestülpt.
Dort herrscht mehrfache Konkurrenz: Die des Films zu den anderen Medien (Fernsehen, Internet, DVDs, Games) und die Konkurrenz der Berlinale zu anderen Festivals in Cannes, Venedig, Sundance, Locarno oder sonst wo. Auch im Kinosaal selbst herrscht "Eventisierung". 3-D-Kino ist nichts anderes als ein "Ereignis" innerhalb der üblichen 2-D-Filmwelt. Ausnahmezustände, wohin man auch blickt. Jede Filmreihe der Hauptstadt nennt sich mittlerweile "Festival". Mehr als vierzig davon gibt es. Auch zwischen diesen muss die Berlinale wie ein Kreuzfahrtdampfer zwischen Nussschalen durchs enge Hafenbecken navigieren.
Zusätzlich steht die Berlinale in Konkurrenz zu anderen Großveranstaltungen des Stadtmarketings. Mittlerweile haben die Anhänger jeglicher Art von Freizeitbeschäftigung einmal Gelegenheit, sich in der Hauptstadt zum "Event" zu versammeln: die Freunde klassischer Musik ("Classic Open Air"), die Fans des Am-Straßenrand-Stehens ("Karneval der Kulturen"), die Enthusiasten des Durch-die-Straßen-Rennens ("Berlin-Marathon"), die Anhänger des technischen Schnickschnacks ("Internationale Funkausstellung"), die Begeisterten der Sandkästen ("Sandsation 2010") oder die Verehrer feuertechnischer Werke ("Pyronale"). Die Liste könnte fortgesetzt werden.
Die "Eventisierung" der Berlinale soll den gezeigten Filmen größere Aufmerksamkeit verschaffen. Das ist ihre wichtige Funktion. Denn ohne maximale Wahrnehmbarkeit bleiben die Zuschauer aus. Und die Medien. Und die Geldgeber. Aber die Bedenken bestehen, dass nicht den Filmen eine Bühne bereitet wird, sondern bloß dem Festival und der Feierlaune selbst. Vielleicht sollte man schlicht optimistisch sein: In solch einer aufwändigen Verpackung muss einfach ein großartiges Filmprogramm stecken. Schließlich soll in der prallen Wundertüte an Neben-, Sonder- und Extra-Events für jeden etwas dabei sein. Sogar für die Filmfreunde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin