: Bedrohliche Berge
In den Alpen wird sich erweisen, wie stark Armstrongs Team wirklich ist. Jens Voigt wird am Dienstag in Gelb antreten
BERLIN/MULHOUSE taz ■ Am Wochenende hat Lance Armstrong merkwürdige Dinge gesagt. „Ein paar Beulen nehmen wir mit, an Tagen wie diesen leide ich wie ein Hund“, war so ein Satz. Oder: „Unser Team erlebte eine Krise, ich war isoliert; das Selbstbewusstsein meiner Teamkollegen war angekratzt.“
Das schauspielerische Talent des Mannes aus Texas ist bekannt. Er lebt es auf dem Rad aus – und manchmal auch vor der Kamera. Die Frage ist: Wie viel Wahrheitsgehalt steckt in Armstrongs Bekundungen? Was ist davon zu halten, dass der Leader an einem vergleichsweise läppischen Anstieg, am Col de la Schlucht, nicht mehr als 1.100 Meter hoch, allein und verlassen in der Spitzengruppe fährt und weder ein George Hincapie in der Nähe ist noch irgendein anderer Pedaleur in Blau-Weiß?
Dänischer Tageserfolg
Armstrong hat auf den ersten hügeligen Etappen am Wochenende keine Zeit auf seine härtesten Gegenspieler verloren. Der Schaden ist also eher symbolischer Art. Die Entscheidung fällt in den Alpen und den Pyrenäen, auf Serpentinen, die Armstrong bereits wieder in verlässlicher Begleitung seiner Kollegen hinaufkurven könnte. Er hat sie ohnehin zum Rapport gebeten. „Wenn es in den nächsten zwei Wochen noch einmal zu so einer Szene kommt, dann habe ich ein Problem“, machte er klar. Prompt arbeitete sein Team am Sonntag auf dem Weg nach Mulhouse eifrig, begab sich auf die Jagd nach Ausreißern. Trotzdem enteilte der Berliner Jens Voigt so weit, dass er Armstrong über drei Minuten abnahm – und zudem das Gelbe Trikot. Er liegt mit 1:50 Minute Vorsprung auf Christoph Moreau, seinen Begleiter am Sonntag, an der Spitze. Allein ausgerissen war der Däne Michael Rasmussen, der die neunte Etappe für sich entschied. Er ist nun Vierter der Tourwertung (+ 2:43 Minuten) hinter Lance Armstrong (+ 2:18).
Die leichten Schwächen von Armstrongs Adjutanten kamen unerwartet – und die Konkurrenz wusste die richtige Antwort darauf. Andreas Klöden nahm Armstrong bei einem Ausreißversuch am Samstag mehr als eine halbe Minute ab. Jan Ullrich schöpfte frischen Mut. „Die Tour fängt an, Spaß zu machen“, vermeldete er in Gérardmer. „Wir haben gezeigt, dass das hoch gelobte Discovery-Team verletzlich ist“, sagte Olaf Ludwig, Manager von T-Mobile. Und Alexander Winokurow, dem Verhandlungen mit Discovery nachgesagt werden, meinte, er fühle sich beflügelt. Ob das Team T-Mobile Armstrong auch im Hochgebirge ärgern kann, muss die Bonner Radgruppe am Dienstag nach dem Ruhetag zeigen, wenn es steilere Rampen hinaufgeht, auf den 1.968 Meter hohen Cormet de Roselend etwa. Die Stiche der Konkurrenz dürften schmerzhafter werden, ganz egal ob sie vom Team CSC kommen oder von T-Mobile. Der Tour würde eine Akupunktur ganz gut tun.