: Bedeutungsfelder des Schweigens
Die Reihe „drame!“ am Maxim-Gorki-Theater präsentiert neue französische Dramatik: Heute das „Echo der Stille“
Der Duden schlägt eine ganze Reihe sinnverwandter Wörter für „Stille“ vor: Frieden, Ruhe, Schweigen, Lautlosigkeit, Totenstille, Grabesstille. In dieser Reihenfolge. Das Theaterstück von der Frankokanadierin Danielle Thibault, das heute im Rahmen der Reihe „drame!“ in einer szenischen Lesung im Gorki-Theater vorgestellt wird, trägt den Titel „Das Echo der Stille“, und schöpft alle diese Bedeutungsnuancen des Substantivs aus, ebenfalls in dieser Reihenfolge.
Als wohltuende Ruhe, peinliches Schweigen oder auch als völliges Verstummen dort, wo das Reden nicht mehr möglich ist, meldet sich die Stille in Thibaults Stück unüberhörbar zu Wort. Als Zuschauer befindet man sich in einer Situation, die derjenigen der Protagonistin Hélène in vielem ähnlich ist: Das, worum es eigentlich geht in dem Stück, wird niemals wirklich aus- oder angesprochen.
Hélène lebt mit ihrem Freund Antoine zusammen, den man immer wieder in Eile und auf dem Weg zur Arbeit erlebt. In dieser Eile gehen ihre Versuche unter, mit ihm über die gemeinsame Zukunft zu sprechen. Den Anrufen ihrer Mutter und den Anfeindungen ihrer schizophrenen Schwester Maryse dagegen muss Hélène selbst immer wieder ausweichen. Geredet wird zwar, aber allzu oft nur, um die Stille zu überdecken. Wenn es Hélène deshalb am Schluss tatsächlich gelingt, aus der erdrückenden Stille herauszutreten, die sie umgibt, dann ist das in jedem Fall ein Schritt ins Freie – auch wenn ungewiss bleibt, wohin er führt.
„Das Echo der Stille“ – dieser Titel verdeutlicht auch, worum es Johannes von Westphalen und Andreas Jandl geht, die für „drame!“ verantwortlich sind: Allzu still bleibt es ihrer Meinung nach nämlich rund um die neue französischsprachige Dramatik auf deutschen Bühnen. Im Vergleich zu angelsächsischen oder skandinavischen Stücken werden französische, belgische oder eben kanadische in Deutschland selten gelesen und noch seltener gespielt – oft genug fehlt es schon an den Übersetzungen der Stücke ins Deutsche. Andreas Jandl hat deshalb schon während seines Studiums in Montréal angefangen, Theaterstücke zu übersetzen.
Die Reihe „drame!“ versteht sich als Plattform für zeitgenössische frankophone Dramatik in deutscher Übersetzung: Zum einen dadurch, dass die Stücke teilweise eigens für die Reihe ins Deutsche übersetzt werden („Das Echo der Stille“ von Andreas Jandl), zum anderen auch durch die Form der szenischen Lesung, die die Vorlage aufs Nötige reduziert und den Zuschauern ermöglicht, sich in ungewöhnlicher, aber umso eindringlicherer Weise mit dem Text auseinander zu setzen: So wurden in dieser Spielzeit schon Joris Lacoste aus Frankreich, François Archambault aus Kanada oder Pascale Tison aus Belgien vorgestellt.
Und wirklich: Nachdem „drame!“ auf diese Weise die Stille um die neue französische Dramatik gebrochen hat, gibt es nun auch ein Echo: Einige der Stücke sind inzwischen auch an anderen deutschen Bühnen inszeniert worden, und einige der übersetzten Texte werden von deutschen Verlagen verlegt.
ANNE KRAUME
„Das Echo der Stille“. Szenische Lesung mit Publikumsgespräch am Montag, 24. März, 20 Uhr, im Gorki Studio, Mitte