■ Bedarf an patriotischen Leitbildern: Gegen Märtyrertum!
Die Tendenz, an die Vergangenheit von Kollaboration anzuknüpfen, tritt besonders in jenen ehemals kommunistischen Ländern hervor, die in ihrer Geschichte keine eigenen Nationalstaaten besaßen oder deren Eigenständigkeit sehr weit zurückliegt. Denn der Kollaboration mit den nationalsozialistischen Besatzern lagen in den meisten Fällen keine ideologischen Motive zugrunde, sondern taktische Bündnisse. Obwohl es in Osteuropa schon in der Zwischenkriegszeit extrem nationalistische Bewegungen gab, so arbeiteten doch während des Krieges die Kollaborateure deshalb mit den Nationalsozialisten zusammen, weil sie darin die einzige oder beste Möglichkeit sahen, die eigene Unabhängigkeit zu erkämpfen oder zu erhalten.
Heute besteht in diesen Ländern ein dringender Bedarf an nichtsowjetischen Helden und Leitbildern, mit deren Hilfe sich zum Beispiel patriotischer Schulunterricht durchführen läßt. In der Slovakei und der Ukraine stehen diejenigen, die diese Sinnstiftung vornehmen sollen, vor einem Dilemma. Eine slovakische Militärtradition existiert nicht, denn die Slovakei war außer im Zweiten Weltkrieg nie ein eigener Staat. In der Ukraine liegen die Wurzeln entweder sehr weit zurück oder sind wenig bekannt wie etwa der bewaffnete Kampf um die Unabhängigkeit im Ersten Weltkrieg. Die Tradition des Zweiten Weltkriegs dagegen existiert immer noch. Bis heute leben die damaligen Kollaborateure in den bewaffneten Verbänden und im Verwaltungsapparat der Besatzer. Bis heute betonen sie aus der Emigration, daß ihre Kollaboration nur der Absicht entsprungen sei, gegen die Rote Armee zu kämpfen. Dazu kommt, daß die früheren Kollaborateure nach dem Krieg besonders harten Repressionen ausgesetzt waren und deshalb heute als „Märtyrer der nationalen Sache“ angesehen werden. So mancher Politiker im Baltikum, in der Ukraine, der Slovakei, Bulgarien, Ungarn oder Rumänien und Kroatien versucht, diese Tradition zur Vergrößerung seiner Wählerbasis und Popularität zu nutzen. Auch wenn dies nebensächliche Erscheinungen sind, kann man nicht ausschließen, daß aus ihnen Emotionen erwachsen, die von primitiver nationalistischer Rhetorik gesteuert werden können. Deshalb sollten sich die Anstrengungen nicht so sehr auf Veteranenbekämpfung konzentrieren, sondern auf positive Erziehung und Erforschung der demokratischen Strömungen. Sonst können die frustrierten Gesellschaften leicht zum Schluß kommen, daß extremer Nationalismus einen Rettungsanker zur Verbesserung der materiellen Lage und zur Bildung eines starken und unabhängigen Staates darstellt. Stanislaw Stepien
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