Beate Seidel : Verlierer zur Kasse
Als am 18. März 1990 die ersten demokratischen Wahlen in der noch existenten DDR stattfanden und am Ende das Wahlergebnis so eindeutig die CDU als die stärkste Partei auswies, war ich enttäuscht: Kanzler Kohls Versprechen der blühenden Landschaften hatte also im Osten funktioniert – für die einen war es ein glühender Hoffnungsstreif am Horizont, für die anderen eine perfekte Geschäftsidee.
Die Folgen sind bekannt. Ich machte damals die Erfahrung, dass demokratische Mehrheitsentscheidungen nicht unbedingt mit meinen Wünschen einhergehen müssen und ich das zu akzeptieren habe.
Daran erinnerte ich mich am Sonntagabend. Der Bahnhof wird also gebaut! Oder doch nicht? Weil's ja vielleicht für Stadt und Land zu teuer wird und es der grün-roten Regierung um Kretschmann gelingt, Wort zu halten und die 4,5-Milliarden-Kostengrenze, das Landessäckel betreffend, nicht zu überschreiten?
Ich bin vorsichtig geworden: Die Gewinner um Bahnchef Grube gerieren sich wie Feldherren, die eine Schlacht gewonnen haben. (Das haben sie ja auch.) Sie wollen die Verlierer zur Kasse zwingen. Bleibt die Frage, inwieweit diese sich dazu auch zwingen lassen müssen. (Es sei denn, sie stellten die gerade erst errungene Regierungsmacht zur Disposition …)
Die bekannten Spielregeln zwischen Wirtschaft und Politik, das machen jedenfalls die Gewinner des Volksentscheids am Sonntag deutlich, greifen. Und es hat Konsequenzen, sich ihnen zu verweigern. Konsequenzen, die man dann tragen muss.
Beate Seidel ist Dramaturgin am Staatstheater Stuttgart