■ Bauwettbewerb für das Berliner Kanzleramt ist entschieden: Kohl hat das letzte Wort
Welche Bundesrepublik präsentiert sich künftig am Spreebogen, dieser derzeit noch vom Reichstag beherrschten Brache? Diese Frage hat von Beginn an den Planungsprozeß begleitet. Ist es eine demokratische, den Menschen zugewandte Architektur, die Transparenz und Dialog ausdrückt, wie es in Günter Behnischs gläsernem Plenarsaal des Bundestags in Bonn zum Ausdruck kommt – oder eine auf Zelebrierung der Macht ausgerichtete Struktur, die sich abschottet von den Untertanen. Diese Auseinandersetzung schwang mit bei dem Grundgedanken einer über die Spree gelegten Ost-West-Achse als Verklammerung beider Teile Deutschlands, mit dem Axel Schultes Anfang 1993 als Sieger aus dem städtebaulichen Wettbewerb hervorging.
Dem Bonner Architekten der Einheit, der sich zugleich als Bauherr hervortun möchte für eine Residenz, die er nicht mehr beziehen wird, mißfiel der Schultes-Entwurf, der einen republikanischen Gestus atmete. Schultes betonte durch ein geschlossenes Ensemble von Bauten eine Gleichgewichtigkeit der demokratischen Institutionen. Bundeskanzler Kohl dagegen insistierte auf einem herausgehobenen Bau, der den Vorrang der Exekutive symbolisiert.
Schultes hat den Wünschen des Kanzleramts schon bei der Überarbeitung des städtebaulichen Wettbewerbs Rechnung getragen. In seinem jetzigen Siegerentwurf hat sich nicht nur der Riegel verbreitert, sondern Schultes ist auch mit einer Höhe von über 40 Metern dem Dominanz-Wunsch des Kanzlers gegenüber den auf bloße 22 Meter Höhe festgeschriebenen Häusern der Abgeordneten und der Bundestagsverwaltung nachgekommen.
Wohlwollen hat dieser Entwurf bei den Preisrichtern aus dem Kanzleramt offenbar nicht hervorgerufen, auch wenn Schultes einstimmig einen der beiden ersten Plätze zugesprochen bekam. Dort setzte man auf den konservativeren Zuschnitt des Büros Krüger, Schubert und Vandreike oder des drittplazierten Oswald-Mathias Ungers, bei dem die Elemente einer exekutiven Trutzburg und das Bedürfnis nach Harmonie gleichermaßen zu finden sind.
Was am Spreebogen tatsächlich gebaut wird, ist damit längst noch nicht klar. Das Preisgericht hat seine Arbeit getan und wird am weiteren Planungsgeschehen nicht beteiligt sein. Entschieden wird nun vom Bundeskanzler. Für eine demokratische Gesellschaft, die sich hier ihr republikanisches Forum einrichtet, ist das nach dem konservativ zurechtgestutzten Reichstagsumbau eine bedrückende Perspektive. Gerd Nowakowski
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