Baugruppen und Gentrifizierung: "Wir möchten in Dialog kommen"
Das Hausprojekt von Peter M. in Friedrichshain steht zwischen ehemals besetzten Häusern. Das Verhältnis zu den Nachbarn ist angespannt: "Wir werden als Synonym der Gentrifizierung angesehen".
taz: Herr M., Sie haben in Friedrichhain mit einer Baugruppe ein Haus gebaut. Wie ist das Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn?
Peter M.: Das Verhältnis ist kalt. Wir werden ausgegrenzt. Die Erwachsenen reden nicht miteinander. Es gibt nur Kontakt über den Kindergarten, den unsere Kinder besuchen. Wir würden gern mit unseren Nachbarn über die Probleme reden - auch auf neutralem Boden mit Mediator. Aber das lehnen sie ab.
Der 43-Jährige heißt in Wirklichkeit anders. Er ist Architekt.
In dem Friedrichshainer Neubau
leben zwölf Erwachsene und sechs
Kinder in Eigentumswohnungen.
Was sind das für Probleme?
Die Häuser in der Nachbarschaft wurden Anfang der 90er-Jahre besetzt und sind jetzt in selbst verwaltetem Besitz. Das Grundstück, das unsere Baugruppe 2008 gekauft hat, befand sich in einer Baulücke zwischen zwei dieser ehemals besetzten Häuser. Die Bewohner hatten die Brache als Garten zwischengenutzt und dafür Pacht gezahlt. Als das Grundstück zum Verkauf anstand, haben sie mitgeboten, konnten den geforderten Preis aber nicht bezahlen.
Die Enttäuschung kann man verstehen.
Durchaus. Aber wenn wir nicht gekommen wären, hätten andere gebaut. Vielleicht sogar ein Inverstor. Mit Baubeginn setzten Sabotageaktionen ein. Vom wem diese ausgegangen sind, wissen wir nicht.
Um was für Sabotage handelte es sich?
Vom Bagger wurden die Bremsschläuche durchgeschnitten. Fensterscheiben wurden eingeschlagen, Kabel geklaut. Dann wurde es ruhiger. Mit unserem Einzug gab es Schmierereien, die Eingangstür wurde mit Farbe überschüttet, Müll wurde aufs Grundstück geschmissen, erneut wurden Scheiben zerstört. Es gab auch Beschimpfungen und Körperverletzungen.
Was ist passiert?
Ich möchte das nicht hochspielen. Vergangenes Silvester, als wir uns von unserer Dachterrasse das Feuerwerk angeschaut haben, sind wir mit Raketen beschossen worden. Mehrere Leute wurden getroffen. Eine Frau hat es ganz dicht am Auge erwischt. Sie musste ins Krankenhaus, das Augenlid war angerissen. Zum Glück war es nichts Schlimmeres. Die Frau war aber stark traumatisiert. Wir haben jedes Mal die Polizei eingeschaltet, aber die Ermittlungen haben zu nichts geführt.
Haben Sie ein Gegenkonzept?
Nach wie vor haben wir das Ziel, mit unseren Nachbarn in Dialog zu kommen. Wir bedienen das Feinbild doch gar nicht, das alle Neubauten Carlofts sind, die von stinkreichen Leuten aus Westdeutschland bewohnt werden. Über die Hälfte der Leute aus unserer Baugruppe, auch ich, haben schon vorher im Kiez gewohnt. Wahrscheinlich liegen wir und unsere Nachbarn politisch gar nicht so weit auseinander. Wir haben ein ökologisches Haus gebaut mit einer Grauwassernutzung und einem hohen Energiestandard.
Abgesehen von der Enttäuschung über den Verlust des Gartens - haben Sie noch eine andere Erklärung für die Anfeindungen?
Es geht gar nicht um uns. Ähnlich wie Automobile angezündet werden, werden Häuser wie unseres verteufelt, weil sie als Synonym für Gentrifizierung angesehen werden.
Was halten Sie dagegen?
Die ganze Stadt besteht aus Eigentum. Wenn wir als Mittelstandsbürger am Stadtrand ein Haus gebaut hätten, würde kein Hahn danach krähen. Aber es gibt nun mal eine Bewegung von Familien wie uns, die in der Stadt leben wollen. Ich halte es für einen ganz normalen Prozess, dass man sein Geld, statt es für Miete zu vergeuden, in seine Altersversicherung investiert. Man braucht dafür ein bisschen Startkapital oder einen Kredit unter der Voraussetzung, dass man ein geregeltes Arbeitsverhältnis hat. Aber mit Luxus hat das, wie wir leben, nichts zu tun.
Ist die Debatte über Gentrifizierung überflüssig?
Überhaupt nicht. Problematisch ist, dass Leute, die in ehemals besetzten Häusern eine andere Lebensform praktizieren und diese auch toleriert haben möchten und die dafür sogar öffentliche Mittel in Anspruch genommen haben, sich hinstellen und sagen: Ihr dürft hier nicht wohnen. Ihr passt hier nicht her.
INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“