■ Baubude Potsdamer Platz: Keiner geht hin
Was haben unsere Senatoren, allen voran Bausenator Wolfgang Nagel und sein Kollege Volker Hassemer von der Stadtentwicklung, in den vergangenen Jahren Entwicklungsszenarien vom Potsdamer Platz an die Wand gemalt. In drei, höchstens vier Jahren, so ihre ersten Prognosen, sollten aus den Baugruben wieder Häuser wachsen, Busse über den mythischen Platz rasen und Menschen sich in die U-Bahnschächte zwängen. Die Rede war vom „pulsierenden Leben rund um die Uhr“, vom hektischen Hauptstadtflair unter Sonnensegeln auf der Sony-Plaza. Wer damals beim Tempo zur Vernunft riet, wurde vielfach ausgebremst als Antiberliner. Die Investoren debis, Sony, ABB und Hertie hörten das gern.
Heute, fünf Jahre nach dem Fall der Mauer steht gerade einmal ein debis-Kran auf dem Potsdamer Platz. Der Baubeginn von Sony steht nicht endgültig fest. Und ob Wertheim jemals sein Kaufhaus am Leipziger Platz baut, wissen die Götter. Die wirtschaftliche Rezession und der aufgeblasene Büromarkt sind als Gründe für die Verzögerung den Senatoren nicht anzulasten. Geradezu grotesk angesichts des proklamierten Planungstempos aber scheint, daß der Senat derzeit alles tut, den Baufortgang am Potsdamer Platz zu behindern. S-21 hü!, S-21 hott!, heißt die Parole. Vor Wochen wurde die Trasse im Parlament noch endgültig begraben. Und heute steht sie wieder auf dem Programm. Solange das nicht vom Tisch ist, kann ABB jedenfalls nicht bauen. Schlimmer aber ist, daß durch das S-21-Hickhack die gesamte Stadtplanung am Potsdamer Platz droht, aus den Fugen zu geraten. Denn während die einen Investoren zögern oder gar beim Bau behindert werden, wachsen auf dem debis-Grundstück die Steine in die Höhe. Am Ende steht auf dem Potsdamer Platz allein die debis-Betonburg. Und keiner geht hin – außer Nagel und Hassemer. Rolf Lautenschläger
Siehe Bericht Seite 22
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen