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Archiv-Artikel

„Bartwuchs macht noch keinen erwachsen“

ALTERSBESTIMMUNG In Hamburg wird das Alter von Flüchtlingen durch Röntgen bestimmt, obwohl diese Methode umstritten ist. Ein Gespräch mit Anwältin Daniela Hödl über die Tücken des Verfahrens

Daniela Hödl

■ 42, studierte Jura in Augsburg und Hamburg und arbeitet seit über zehn Jahren als Rechtsanwältin für Strafrecht und Aufenthaltsrecht in Hamburg.

taz: Frau Hödl, nehmen wir an, ein Jugendlicher flieht ohne seine Eltern aus seiner Heimat nach Hamburg. Hier gibt er an, unter 18 Jahre alt und damit minderjährig zu sein. Was passiert mit ihm?

Daniela Hödl: Für alle Flüchtlinge, die angeben, unter 18 zu sein, ist in Hamburg der Kinder- und Jugendnotdienst zuständig. Dort wird geprüft, ob sie tatsächlich minderjährig sind und in staatliche Obhut genommen werden müssen. Dann bekämen sie eine psycho-soziale Betreuung und weiteren Schutz. Die Beweislast für sein Alter trägt jeder Flüchtling allein.

Wie beweist man, minderjährig zu sein?

Das ist nicht einfach: Die meisten Flüchtlinge kommen ohne Papiere an. Selbst wenn sie Dokumente dabei haben, wird ihnen kaum Glauben geschenkt: Bei Afghanen etwa erkennt die Rechtsprechung die Pässe und Urkunden gar nicht an. Dann überprüft der Kinder- und Jugendnotdienst das Alter mit Hilfe eines Standard-Fragebogens. Nach diesem sollen schon bestimmte äußere Merkmale zu Zweifeln an der Minderjährigkeit berechtigen.

Was für Merkmale wären das?

Ein „postpubertärer Körperbau“ mit Bartwuchs und einer tiefen Stimme etwa. Mir erscheint es aber nicht logisch, anhand von Bartwuchs auf einen Erwachsenen zu schließen. Immerhin haben wir es hier mit unterschiedlichen Ethnien zu tun. Die einzige Chance, sich gegen das vom Kinder- und Jugendnotdienst geschätzte Alter zu wehren, besteht in einer medizinischen Untersuchung im Uniklinikum Eppendorf. Die ist zwar rechtlich freiwillig, aber faktisch erzwungen. Denn ohne Feststellung der Minderjährigkeit wird niemand in Obhut genommen.

Sie haben als Anwältin einen Flüchtling vertreten, der sich geweigert hat, sein Alter mittels einer Röntgenuntersuchung bestimmen zu lassen. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen diese Praxis?

Es gibt einfach kein Verfahren, mit dem das Alter exakt bestimmt werden kann. Der Deutsche Ärztetag hält die Methode des Skelettröntgens, wie sie auch in Hamburg praktiziert wird, für die Altersbestimmung ungeeignet. Und Röntgenstrahlen sind nicht ungefährlich. Auch das übrige Verfahren ist würdelos: Die Flüchtlinge müssen sich nackt ausziehen und ihre Geschlechtsteile untersuchen lassen.

Braucht man nicht eine Alterskontrolle, um Missbrauch auszuschließen?

Natürlich geht es um die Kosten, die durch eine Inobhutnahme entstehen, aber eben auch um den Kinder- und Jugendschutz. Dem Beschluss zufolge ist ein Kind erst dann ein Kind, wenn es voll bewiesen hat, ein Kind zu sein. Aber schon vorher muss der Minderjährigenschutz zum Tragen kommen, wenigstens in Zweifelsfällen. Seitdem man die Altersfeststellung der Ausländerbehörde entzogen und dem Kinder- und Jugendnotdienst übertragen hat, besteht eine unglückliche Konstellation: Dieselbe Stelle, die für die Versorgung der jugendlichen Flüchtlinge zuständig ist und im Alltag mit knappen Kapazitäten zu kämpfen hat, muss nun auch in einer Vorprüfung das Alter bestimmen. Da spielt es vielleicht schon eine Rolle, ob man noch mehr Minderjährige haben möchte.

INTERVIEW: JOHANN LAUX