Barrieren für Wähler: Nicht jeder kann einfach wählen
Immer noch sind viele Wahllokale nicht barrierefrei. Die Bezirke lassen in Gebäuden wählen, die für Behinderte ungeeignet sind. Denn die Nutzung darf nichts kosten.
Die zuständigen Behörden sehen Berlin auf dem besten Weg zur barrierefreien Stadt. Wer sich am 18. September auf den Weg zur Wahlurne macht, sollte dennoch besser fit sein. Rund ein Drittel der 1.736 in diesem Jahr für die Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahlen eingerichteten Wahllokale sind auf den Wahlbenachrichtigungen als "nicht barrierefrei" gekennzeichnet. Eine Zumutung für ältere, gebrechliche und behinderte Menschen, für Eltern mit Kinderwagen mindestens eine unnötige Belastung.
"Die Situation ist nicht befriedigend", sagt der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Jürgen Schneider. Der Zugang zum Wahllokal sei "ein ganz wichtiger Teilhabeaspekt; das ist ein öffentliches Ereignis und findet nicht im stillen Kämmerlein statt". Von Diskriminierung könne nur deshalb nicht gesprochen werden, weil mobil eingeschränkte WählerInnen mit Briefwahlunterlagen zu jedem Wahllokal gehen könnten, also auch zum nächstgelegenen barrierefreien.
Die Wahllokale dürften nichts kosten, erklärt der Leiter der Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin, Geert Baase. Deshalb würden sie meist in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden eingerichtet. "Die Barrierefreiheit ist dort nicht immer möglich."
Prozentual hat sich die Situation mobil eingeschränkter WählerInnen im Vergleich zu den vergangenen Wahlen im Jahr 2006, als 43 Prozent der Wahllokale nicht barrierefrei waren, verbessert. Allerdings wurde die Anzahl der Standorte - außer in Mitte - seither in allen Bezirken reduziert, teils drastisch. Vor allem im innerstädtischen Bereich seien in den vergangenen Jahren Stimmbezirke zusammengelegt worden, sagt Baasen. Die Zahl der Wahlberechtigten, die einem Lokal zugeteilt werden, sei von 1.500 an die im Bundeswahlgesetz festgelegte Obergrenze von 2.500 angepasst worden.
Die vermeintlich verbesserten Zugangsmöglichkeiten relativieren sich darum beim Blick auf die absoluten Zahlen: Tatsächlich gibt es am 18. September in acht von zwölf Bezirken weniger barrierefreie Wahllokale als noch 2006. Ihre Zahl wurde berlinweit lediglich in geringerem Umfang verringert als die der nicht barrierefreien.
Verantwortlich für die Auswahl der Standorte sind die Bezirke. In Tempelhof-Schöneberg etwa gibt es in diesem Jahr noch 122 Wahllokale, 80 weniger als 2006 - 70 der gestrichenen Standorte waren barrierefrei. "Wir haben beschlossen, Wahllokale nicht zu wechseln", sagt der zuständige Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Oliver Schworck (SPD). Wenn ein barrierefreies Wahllokal etwa bei einem der letzten Volksentscheide nicht verfügbar war, wurde es daher für die Wahlen am 18. September nicht mehr in Betracht gezogen. Diese Praxis könne zu Lasten der Zugänglichkeit gehen, sagt Schworck, doch es gelte abzuwägen: "Barrierefreiheit muss nicht die erste Priorität sein."
Eine Argumentation, die Sandy Krohn vom Berliner Behindertenverband kennt: "Auf uns wird nicht geachtet." Deshalb fordert sie alle Betroffenen auf, am Wahltag auch die nicht barrierefreien Standorte aufzusuchen. "Nur so können wir auf das Problem aufmerksam machen."
Dabei war eine Verbesserung der Situation ursprünglich durchaus angedacht: Auf Anregung des Behindertenbeauftragten und in Absprache mit dem Büro der Landeswahlleiterin hatte das Projekt Mobidat, das sich für ein barrierefreies Berlin engagiert, Alternativen zu nicht barrierefreien Wahllokalen gesucht. Die Bezirke hätten sehr unterschiedlich reagiert, einige erst gar keine Übersicht über die Wahllokale geliefert, sagt Projektleiter Thorsten Stellmacher. "So konnten wir nicht flächendeckend arbeiten." Was die Bezirke mit den Mobidat-Vorschlägen - darunter rollstuhlgerechte Räume in privater Hand - gemacht haben, "ist im Dunkeln geblieben. Ich vermute, eher wenig."
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