Bankneubau zerschneidet Frankfurts Großmarkthalle: Alles für den Standort
Frankfurt baut anders: Die Europäische Zentralbank erhält die Baugenehmigung für einen umstrittenen Neubau auf dem Gelände der denkmalgeschützten Großmarkthalle.
"Meinen Sie, Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat?", fragte Gottfried Benn in einem seiner Gedichte. Er hätte nach Frankfurt fragen sollen. Was die Wunder betrifft, hält sich in Frankfurt alles in sehr engen Grenzen, aber bei der Selbstweihe der Stadt als "Weltmetropole" - so der Architekt Jochen Jourdan - ist man hier von Amts wegen wie in der Lokalpresse immer ganz vorne mit dabei - stellvertretend für die 670.000 Einwohner.
Frankfurt ein Wunder? Nein - eine fast ganz normale, schwarz-grün regierte Stadt. Wer hier kocht und wer kellnert ist auch klar: Chefköchin und Oberbürgermeisterin Petra Roth braucht weder Magistrat noch Stadtverordnetenversammlung. Ein exemplarischer Fall ist die Auseinandersetzung um den Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB) auf dem Gelände der Frankfurter Großmarkthalle.
Diese ist ein Werk des Architekten Martin Elsaesser (1884-1957) und wurde in den Jahren 1926-1928 gebaut. Der 220 Meter lange Bau gilt in technischer wie ästhetischer Hinsicht mit seinen imposanten Tonnengewölben und seiner Backsteinfassade als ein Meisterwerk der modernen deutschen Architektur der 20er-Jahre.
Das Projekt der Architekten des Wiener Büros Coop Himmelb(l)au sieht nun zwei über 180 Meter hohe, mit Glas verkleidete Türme vor sowie einen massiven Querriegel, der das wuchtige Dach der Großmarkthalle horizontal durchschneidet. Das sind Eingriffe, die an einem denkmalgeschützten Monument überall undenkbar sind außer in Frankfurt, wo man für den "Standort", 850 Millionen Euro Investitionen, alles macht.
In der Debatte, die vor gut zwei Jahren begann, versicherte Udo Corts (CDU) - der damalige Minister für Wissenschaft und Kunst -, es werde ein "förmliches Verfahren" geben über die Zulässigkeit von solchen Eingriffen in ein als Denkmal geschütztes Gebäude. Gleichzeitig erklärte der Frankfurter Planungsdezernent Edwin Schwarz (CDU), es bestehe "bereits Einvernehmen" mit der Landesdenkmalbehörde. Dem widersprach Corts öffentlich, und die Oberbürgermeisterin stellte sich auf die Seite der EZB als Bauherrin. Wenn sich diese und die Denkmalbehörde des zuständigen Regierungspräsidiums Darmstadt nicht einigten, könne Minister Corts - so Frau Roth - durch eine "Ministererlaubnis" den Weg freimachen für das Himmelb(l)au-Projekt. "Förmliche Verfahren" sehen außerhalb von Frankfurt etwas anders aus.
Jetzt wurde der EZB das öffentliche Politikergerangel zu bunt. Ihr Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi zitierte die Streithähne Corts und Schwarz zum Spitzengespräch und gab den Tarif durch. In vertraulicher Runde einigten sich das Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die städtische Planungsbehörde und der Landesdenkmalschutz vorab darauf, "der EZB jede mögliche Unterstützung zu geben". Die Absicht, das Projekt lautlos über zu Bühne zu bringen, durchkreuzten die Erben von Martin Elsaesser. Ein Großneffe und eine Enkelin des Architekten machten Urheberrechte ihres Großvaters geltend. Einwände formulierte auch die jüdische Gemeinde, denn sie wollte in der Großmarkthalle eine Gedenkstätte unterbringen, weil die Frankfurter Juden in den Kellern der Halle eingesperrt worden waren, bevor sie von der Rampe hinter dem Gebäude ab 1941 in Viehwaggons in die Vernichtungslager abtransportiert wurden. Im Januar 2007 wandten sich die Erben an die EZB und kündigten eine Klage an, falls man auf ihre Einwände bis zum 10. März 2007 nicht eingehen werde.
Am 4. Mai 2007 reichten die Erben ihre Klage ein, weil sich die EZB nicht einmal auf eine Antwort auf die solide begründeten ästhetischen und rechtlichen Einwände einließ. "Es gab kein Angebot, nichts", sagte die Enkelin Regine Elsaesser. Als der Prozess vor dem Landgericht begann, kaprizierten sich die Anwälte der EZB auf winkeladvokatorische Fingerhakeleien über Zuständigkeiten bzw. über die Frage des Gerichtsstands. Die klagenden Erben gingen ein hohes Prozess- und Kostenrisiko ein. Das wusste die EZB und begab sich zielstrebig auf den Weg einer jahrelangen Auseinandersetzung, die womöglich erst vom Europäischen Gerichtshof endgültig entschieden worden wäre. Die "Lösung" ist ein Lehrstück für die frankfurterische Dreifaltigkeit von Bankinteressen, Kommunalpolitik und ideologischem Metropolen-Gerede.
Die Erben zogen die Klage zurück, die Stadt erteilte umgehend die Baugenehmigung. Die Bank engagiert sich mit sage und schreibe 25.000 Euro für eine noch zu konzipierende Ausstellung zum Andenken an Martin Elsaesser, die "voraussichtlich" im nächsten Jahr gezeigt werden soll. Die Stadt trägt 50.000 Euro zur geplanten Ausstellung bei. Zusätzlich überweist die Stadt den Elsaesser-Erben 100.000 Euro für ihre Anwaltskosten und die Errichtung einer Martin-Elsaesser-Stiftung. Und damit auch die jüdische Gemeinde Ruhe gibt, versprechen Bank und Stadt, Geld zu spenden für ein Mahnmal, das an die Deportation der Frankfurter Juden erinnert, das jedoch den Bankbetrieb in keiner Weise stören dürfe.
Der EZB-Chef Jean-Claude Trichet nannte die außergerichtliche Einigung und die Baugenehmigung einen "Meilenstein" und lobte "die exzellente Zusammenarbeit" mit Politik und Bauaufsicht. Petra Roth nannte die EZB "das Finanzgehirn Europas" und drehte schließlich ein ganz großes Rad: "Die EZB ist die historische Fortsetzung der 1.200 Jahre Stadtgeschichte." Dass der Kompromiss hauptsächlich mit Steuergeldern finanziert wird, geht dabei fast unter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!