Balkanplatte zum ESC: Des Staatsfeinds Nummer 1
Es ist der ultimative Hit zur Krise: Im Halbfinale des Eurovision Song Contest singt Rambo Amadeus für Montenegro „Euro Neuro“. Nicht hirnlastig und wirklich groovy.
Ein Mann mit langem Bart und archaischer Mütze entsteigt einer geheimnisvoll-gruseligen Nebelwolke und singt mit opernhafter, von tiefen Bratschen unterlegter, drohender Stimme: „Eurosceptic. Analphabetic. Try not to be hermetic.“ Dann lacht er fies. So beginnt das Musikvideo, eine Mischung aus Piraten- und Vampirfilm.
Basseinsatz und Szenenwechsel: Ein unrasierter Typ in unvorteilhaften, schlabbrigen Klamotten reitet, eine Wollmütze auf dem Kopf, auf einem Esel durch sonnendurchflutete Landschaften. Dazu loopt ein Keyboard einen orientalischen Riff. Und der Wollmützenträger beginnt, in gebrochenem Englisch zu rappen:
Euro neuro
Don’t be sceptic, hermetic, pathetic, analphabetic
■ Landesname: Crna Gora heißt auf Deutsch „Schwarzberg“. Die Hauptstadt des zwischen Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Kosovo und Albanien gelegenen gebirgigen Staats heißt passenderweise Podgorica (etwa: „Unterbergen“).
■ Bevölkerung: Auf 13.812 Quadratkilometer leben 625.000 Menschen, davon 45 Prozent Montenegriner, 29 Serben, 8,6 Bosniaken, 5 Albaner und jeweils 1 Prozent Kroaten und Roma.
■ Geschichte: Montenegro wurde 1878 vom Osmanischen Reich unabhängig. 1918 schloss es sich dem neuen jugoslawischen Staat an. Nach dessen Ende 1991 verblieb das Land in einem Staatenbund mit Serbien, den es 2006 verließ. Seit 2010 ist Montenegro EU-Beitrittskandidat.
■ Zahlungsmittel: Seit 1995 zunächst die D-Mark, seit dessen Einführung nutzt Montenegro den Euro – obwohl es bis heute nicht offiziell zur Eurozone gehört.
■ ESC: Größter bisheriger Erfolg seit der ersten Teilnahme 2007: 11. Platz im Semifinale 2009 mit Andrea Demirovic, größte Pleite: 23. Platz im Semifinale 2007 mit Stevan Faddy. (rr)
Forget old cosmetic, you need new poetic, esthetic, eclectic, dialectic
Euro neuro
Don’t be dogmatic, bureaucratic, you need to become pragmatic
To stop change climatic, automatic
Need contribution from the institution
To find solution for pollution
To save the children of the evolution
Euro neuro – monetary break-dance
Euro neuro – give me change to refinance
Euro neuro I don’t like snobism, nationalism, puritanism, I am different organism
My heroism is pacifism, altruism, I enjoy bicyclism
Liberalism, tourism, nudism, optimism, it-is-good-for-rheuma-tism
Euro neuro – give me change to refinance
Euro neuro I got no ambition for high position, in competition with the air condition
Different mission, different school, I only got one rule
Always stay cool, like a swimming pool
Euro neuro – monetary break-dance
Euro neuro – give me change to refinance
Das ist der Beitrag der Balkanrepublik Montenegro zum Eurovision Song Contest 2012. Und der Sänger, Rambo Amadeus, ist wirklich ein fremder Organismus. Denn der 1963 als Antonije Pusic in Kotor an der damals jugoslawischen Adria geborene Sänger und Gitarrist war und ist tatsächlich „Pazifist und Altruist“. Rambo sang zu Zeiten gegen „Snobismus, Nationalismus und Puritanismus“, in denen das Karrieren vernichten konnte. Und blieb dabei nicht immer „cool wie ein Swimmingpool“.
Der Pazifist und Altruist
Frühsommer 1992. Slobodan Milosevic, der starke Mann in Serbien, lässt mitten in der Hauptstadt Belgrad ein Rockfestival ausrichten. Während seine Truppen ein paar hundert Kilometer entfernt die nichtserbische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas vertreiben und töten, will das Regime den Menschen in Serbien selbst zeigen: Krieg gibt’s nur bei den anderen.
Auch Rambo soll auftreten. Doch statt sich die Gitarre umzuhängen, geht der kräftige Exprofisegler schnurstracks auf das Publikum – und die laufenden Kameras von Milosevics Staatssender Radio-Televizija Serbien RTS – zu, richtet sich zu voller Größe auf und brüllt: „Hallo, Wählerschaft! Während ihr hier Bier trinkt, bombardieren die Schweine in Bosnien Städte. Schämt euch!“ Schmeißt das Mikrofon weg. Und verlässt die Bühne.
Das in Millionen serbische Wohnzimmer live übertragene Ende von Milosevics Normalitätssimulation hat das Regime Rambo nie verziehen. Bis zum Sturz des starken Mannes von Belgrad im Jahr 2000 kam er in den großen Medien nicht mehr vor. Für den Mainstream in Serbien – und im bis Mitte der 1990er mit Milosevic verbündeten Montenegro – war Rambo tot.
Doch er hat den Boykott genutzt. Statt in Serbien in der ersten Reihe zu rocken, erspielte er sich seinen Platz unter den Subkultursuperstars in ganz Exjugoslawien. Er spielte gegen Krieg und Nationalismus, für Frieden und Hilfe für Flüchtlinge – nicht in den großen Hallen, sondern in den Clubs und auf den Open-Airs. Da, wo die Leute sind. Und denen erklärte er bei jeder Gelegenheit satirisch, unterhaltsam und deutlich, wer warum Krieg in Exjugoslawien führte.
Früher machte er „Torbo-Folk“
Der Montenegriner mit Wohnsitz in Belgrad war der erste Musiker aus Serbien-Montenegro, der nach Kriegsende in Slowenien wieder dort spielen konnte. Rambo eröffnete aber auch die Nachkriegszeit in Kroatien und Bosnien. Seine ersten Hits, „Vanzemaljc“ (Außerirdischer, 1988) und „Balkan Boy“ (1989) gehören zu den Hymnen jeder guten Balkandisko.
Damals lag Rambo musikalisch irgendwo zwischen Funk, Rap, Rock und Balkanfolklore. Er selbst nannte das „Turbo-Folk“ – Jahre bevor das gleichnamige Genre zum Soundtrack von Nationalismus und Krieg in Exjugoslawien wurde. 2005 rappte Rambo auf „Oprem dorbo“ (Gut bestückt) wie zur Entschuldigung: „Ich habe den Turbo-Folk nicht erfunden. Ich habe ihm nur den Namen gegeben.“
Da ist seine Musik schon weniger zugänglich. Die Alben und Auftritte sind nach wie vor streckenweise sehr groovy. Was fehlt, sind Songs. An ihre Stelle hat Rambo seit Mitte der 1990er immer mehr, immer kompliziertere Jazzläufe gestellt, zu denen er spricht, singt, dichtet, rappt, kommentiert, kommuniziert.
Das macht durchaus Spaß – zeigt aber, dass „Rasmc“ (Rambo Amadeus Svjetski Mega Car, Deutsch: Welt-Mega-Kaiser), wie er sich zeitweise nennt, seiner auf dem letzten tanzbarem Album „Titanik“ (1996) selbst gesungenen Forderung ein klares „Nein!“ entgegengesetzt hat: „Philosophiere nicht, Rambo, mach uns einen Hit.“
Heute ist er der „Intellektuellen-Rambo“
Stattdessen nervt Rambo seit Jahren mit musikalischen Experimenten. Auf Konzerten spielt er kaum ein Stück zu Ende. Oft ist er nur schwer von einem Stand-up-Comedian oder Slampoeten zu unterschieden. Böse Zungen nennen ihn schon „Intelektualac“ (Intellektueller). Darauf hatte er 1989 balkanisch-explizit gereimt: „oko kurca lanac“ (um den Schwanz eine Leine). Auf Deutsch würde der Vorwurf weniger explizit lauten: Aus dem primitiven, freien Balkanboy ist ein zivilisierter, gefesselter Kopfmensch geworden.
Und „Euro Neuro“? Ist ein Lied! Nicht hirnlastig. Und wirklich groovy. Belgrader Musikkritiker vermuten, Rambo hätte den ESC schon lange im Auge gehabt – als Promo für seinen ersten Hit seit Jahren. Dafür spricht, dass pünktlich zur Nominierung eine Compilation erschienen ist, mit „Euro Neuro“ als einzigem neuen Titel – auf dem Majorlabel Dallax, das unter anderem EMI in Südosteuropa vertritt.
Auf die Frage nach seinem Plan für Baku antwortet Rambo wie immer selbstbewusst: „Ich denke, dass ich die Kriterien für zukünftige Eurovisions-Beiträge dauerhaft verändern werde.“ Tatsächlich ist es ihm gelungen, ein Lied über das sperrige Thema Eurokrise zu schreiben, das kein Politsong ist – und trotzdem eine Message transportiert.
Doch versteht wirklich jemand außerhalb, was für jeden Exjugo offensichtlich ist: Dass der montenegrinische Primitivling, der im Video mitten im Sommer wollbemützt auf seinem Esel von den schwarzen Bergen herabreitet und den Touristen Schnickschnack für Euros andreht, Europa rät, angesichts der Euro- und anderer Krisen „cool like a swiming pool“ zu bleiben? Und dass er weise spricht?
Message: Europa ist mehr als der Euro
Jugoslawien ist nicht an einer Wirtschaftskrise gescheitert. Es wurde von politischen Eliten zerstört, die unfähig waren, mit dieser Krise umzugehen. Die Bevölkerung wurde in Völker geteilt und gegeneinander aufgehetzt, um vom Versagen der politischen Führung abzulenken. Das kann – Stichwort Euro-Abschaffungs- und Schengen-Grenzschließungsfantasien nicht nur auf der politischen Rechten in den EU-Staaten – auch dem vereinigten Europa passieren.
„Im TV lief täglich dasselbe Muster“, erinnert sich Rambo: „Die Serben werden von allen Seiten bedroht. Das war schon immer so. Aber wir haben jedes Mal gesiegt. Und das glauben die Leute. So funktionierten die Regime auf dem Balkan. Und wahrscheinlich auch andere Regime.“ Auch das in Aserbaidschan? „Es erinnert mich schon an die gute, alte Zeit.“
Rambo Amadeus – Selbstbeschreibung: „Musiker, Poet und Medienmanipulator“ – kennt die Schliche der Propaganda. Im Kommunismus. Und im Kapitalismus. Im „Euro Neuro“-Video spielt er den eurogeilen montenegrinischen Dorfdeppen, dem am Ende der Esel die sauer verdienten Scheine aus der Tasche wegfrisst – und der doch eine Menge Spaß mit einer Menge netter Leute hatte.
Rambos frohe Botschaft vom Balkan lautet: Gut zu leben ist mehr wert als Geld. Und Europa ist mehr als der Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“