Balkan-Nachbarstaaten: Eiertanz um Kosovo-Anerkennung
Für Nachbarstaaten ist die Frage der Kosovo-Anerkennung eine Belastungsprobe. Auch in ihren Ländern steht der instabile Friede zwischen Ethnien auf dem Spiel.
SARAJEVO taz Der Konflikt um das Kosovo hat einige der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien in Unruhe versetzt. So haben zwar Slowenien und Kroatien die diplomatische Anerkennung Kosovos bislang noch gar nicht ausgesprochen, doch wurden letzte Woche die diplomatischen Vertretungen beider Staaten von den Demonstranten in Belgrad angegriffen. Denn die Demonstranten nahmen zu Recht an, dass beide Länder Kosovo bald anerkennen werden.
Dass aber auch die Botschaft Bosnien und Herzegowinas angegriffen wurde, fällt aus dem Rahmen. Denn dessen Regierung tut sich schwer damit, Kosovos Unabhängigkeit zu bestätigen. Schließlich haben die Serben alle Möglichkeiten, innerhalb der Institutionen die Anerkennung Kosovos zu verhindern. Eine so schwer wiegende Entscheidung könnte nur im Einvernehmen der Vertreter der drei Volksgruppen durchgesetzt werden. Zudem ist der Premierminister des Gesamtstaates ein Serbe. Die Attacke der Demonstranten zielte auf die beiden ebenfalls in Bosnien lebenden Volksgruppen der Bosniaken und Kroaten und damit auf den ungeliebten Gesamtstaat. Und die wären in der Tat für die Anerkennung Kosovos, könnten sie ohne die Serben entscheiden. Viele Serben wollen dagegen die serbische Teilrepublik aus Bosnien und Herzegowina herausbrechen.
Auch Mazedonien tut sich mit der Anerkennung des neuen Staates schwer, jedoch aus anderen Gründen. Die mit rund 25 Prozent Bevölkerungsanteil zweitstärkste Volksgruppe, die mazedonischen Albaner, drängt auf eine Entscheidung. Unter der Hand hat auch Mazedonien signalisiert, es wolle Kosovo anerkennen. Mazedonien wird in Anbetracht der eigenen Interessen auch handeln müssen. Nicht nur mit Rücksicht auf die Albaner, sondern auch auf die EU, die Verhandlungen über die Aufnahme des Landes für den Herbst in Ansicht gestellt hat. Und auch aus wirtschaftlichen Gründen. Denn Mazedonien profitiert wie Albanien und Montenegro vom Handel mit Kosovo, will gleichzeitig aber die bisher keineswegs schlechten Beziehungen zu Serbien nicht allzu sehr belasten und warten, bis sich in Serbien die Gemüter wieder etwas beruhigt haben.
Dass Albanien als eines der ersten Länder Kosovo anerkannt hat, überrascht natürlich nicht. Dass aber auch Montenegro diesen Schritt unternehmen wird, schon eher. Denn dies kann die politische Führung des Landes nur gegen den Widerstand der proserbischen Kräfte durchsetzen, die in Podgorica immerhin über 10.000 Menschen auf die Beine brachten, um gegen die Anerkennung Kosovos zu protestieren. Nach wie vor gibt es in Montenegro eine starke und in den östlichen Gebieten des Landes verankerte Strömung in der Gesellschaft, die sich gegen die 2006 erreichte eigene Unabhängigkeit von Serbien wendet und sich wieder mit Serbien vereinigen möchte. In diese Lage passt die Nachricht, dass der "Vater der montenegrinischen Unabhängigkeit", Milo Djukanovic, erneut Regierungschef von Montenegro geworden ist. Präsident Filip Vujanovic ernannte ihn am Mittwoch zum Nachfolger des im Januar aus Gesundheitsgründen zurückgetretenen Þeljko Ðturanovic. "In den schwierigsten Momenten der modernen Geschichte Montenegros war Djukanovic bereits Regierungschef und Präsident,", sagte der Präsident über Djukanovic. Kurz nach der Unabhängigkeit Montenegros als Regierungschef zurückgetreten, um als "Geschäftsmann Geld zu verdienen", wie er selbst sagte, soll er Donnerstag mit seinem Kabinett vereidigt werden. Montenegro braucht seinen starken Mann. Denn es sind offenbar wieder "schwierige Zeiten" angebrochen. Radikale Serben haben bei den Versammlungen in Nordmitrovica offen den Umsturz in Montenegro gefordert. ERICH RATHFELDER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“