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Archiv-Artikel

Balance und Grenzgänge

Traumwandlerisch fließende Pfade: Die Compagnie salia nï seydou aus Burkina Faso zeigt mit „Weeleni, l‘appel“ auf Kampnagel äußerst verdichtete Choreografien

Reduktion und Strenge, mit der die verschiedenen Stimmen von Klang und Bewegung hier zum Einsatz kommen, ist verblüffend. Lässt man sich von der stillen, konzentrierten Poesie der Bewegungen wegtragen, wird schnell deutlich, dass dieser afrikanische Tanz der Compagnie salia nï seydou aus Burkina Faso eine Vielzahl von Elementen in sich birgt und nicht allein den traditionellen Regeln folgt, mehr Kunst ist als Extase und sich dennoch auf eine Spiritualität beruft.

Die Gruppe aus Burkina Faso, die in einer Deutschlandpremiere derzeit auf Kampnagel ihr Stück Weeleni, l‘appel zeigt, gehört zu den prominentesten Vertretern eines neuen afrikanischen Tanzes. Ein ritueller Charakter bestimmt den Performance-Aufbau. Im Halbrund haben vier Musiker, und eingangs auch die Tänzer, Platz genommen – jeder eine Insel für sich, die das Licht in warme Farben taucht. Die Gründer der Compagnie Seydou Boro und Salia Sanou erhalten hier Verstärkung von Ousseni Sako. Ihre drei Soli bilden das Gerüst des Stücks.

Jeder dieser Tänze ist ein Grenzgang, ein Balanceakt zwischen den Polen innen und außen, Körper und Geist, weiblich und männlich. Auf Hände und Füße gestützt stemmt sich Salia Sanou gegen die Schwerkraft, spürt seinem Gewicht nach, prüft, ob diese Erde ihn wohl tragen wird. Die Trommel zwingt ihn in die Vertikale, in einen taumelnden Tanz, immer wieder vor und zurück, mit dem Rücken zum Publikum, das fasziniert auf die zuckenden Schulterblätter schaut, zwischen denen der herabhängende Kopf fast verschwindet. Ein „kopfloser“ Tanz, der gleichzeitig eine Verbeugung vor der Trommel ist.

Eindeutig setzen die drei Tänzer mit ihren nackten Oberkörpern und glatt rasierten Schädeln auf die Faszination ihres fein artikulierten, spannungsreichen Muskelspiels, verweigern sie sich dem Klischee vom „kraftstrotzenden schwarzen Mann“. Ein schwebender Gesang schiebt sich in den Raum. Sanou verstrickt sich in einen Kampf mit sich selbst, zwischen innerer Kontrolle und äußerer Getriebenheit. Sako mischt sich ein, wird aber vorerst wieder auf seinen Platz im Rund verwiesen, bis er an der Reihe ist und auf einem traumwandlerisch fließenden Pfad, unterbrochen von abrupten Sprüngen und Kontraktionen, in seinem Solo „Waati“ die Zeit ergründet. In den Begegnungen verdichtet sich zunehmend die Choreografie. Schließlich tritt Seydou Boro auf. Sein Hemd hat er vorne über Bauch und Brust gezogen, hält den Saum mit den Zähnen fest – und streut rote Rosenblätter. Marga Wolff

weitere Vorstellungen: heute und morgen, 20 Uhr, Kampnagel