Bahn-Warten mit Niveau: Zurückbleiben bitte! - Aber gern!
Heute muss sich Bahnchef Grube vor dem Parlament rechtfertigen. Statt Forderungen nach "Endlich wieder 10-Minuten-Takt" sollte Grube alles dransetzen, die Wartezeiten erträglicher zu machen. Etwa so:
1. WLan an allen Bahnsteigen
Berlin ist eine Dienstleistungshochburg. Hauptstadt der Kreativen außerdem: Wir tun nichts, aber die ganze Zeit so als ob. Das können wir auch am Gleis zelebrieren! Notwendig ist lediglich WLan bis zur Bahnsteigkante. Den Laptop haben wir ohnehin in der Umhängetasche. Beim Surfen vergeht die Wartezeit im Nu, wir pflegen unser Facebook-Profil, durchforsten das Kinoprogramm und lesen thesige Texte der Kollegen von Spiegel Online. Lässt der Bahnchef noch ein paar ranzige Sessel neben das Wärterhäuschen stellen, fühlen wir uns fast wie daheim in Mitte. Wer braucht schon die S-Bahn, es lebe die digitale Boheme!
2. Fitnessprogramm, Yoga etc.
Die S-Bahn Berlin ist ein Tochterunternehmen der Bahn AG. Seit rund 20 Monaten bietet sie einen eingeschränkten Betrieb an, derzeit fahren die Züge nur mit einer Spitzengeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern. Zur Lage soll Bahnchef Grube heute bei einer Anhörung im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses Stellung beziehen.
Warten im Winter ist fies. Die Kälte zieht bis in die Zehen, die Schultern verspannen, vor lauter Bibbern versteift der Körper. Da hilft nur: Bewegung! Weil es viel weniger lächerlich aussieht, wenn alle mitmachen, sollten an jeder S-Bahn-Station zwei AnimateurInnen wechselnde Fitnessprogramme anbieten, befeuert von Musik aus dem Ghettoblaster und thematisch stimmig: Kickboxen gegen den imaginären S-Bahn-Chef, Meditation, um die S-Bahn-Wut in sich zu lösen, Yoga, damit alles wieder rollt, äh, fließt. Zum Abschluss Gesellschaftstanz. Das fördert den sozialen Zusammenhalt.
3. Spielplätze für Kinder
Mit Kindern S-Bahn fahren kann schon bei normaler Befüllung der Waggons anstrengend sein. Richtig übel wird es, wenn die Bahn überquillt oder ewig nicht kommt. Ablenkung auf den Bahnsteigen, die den Nachwuchs die Langeweile vergessen lassen, gibt es kaum, und wenn, dann ist sie zu gefährlich ("Kletter sofort wieder runter von den Schienen - ja, auch wenn ewig kein Zug kommt!").
Höchste Eisenbahn also, geeignete Spielwelten für Kinder aufzubauen. Bei den Geräten könnte Bahnchef Grube ja auf Motive aus der lustigen Welt der Schiene zurückgreifen: Etwa die Regionalbummelbahn, die immer hin und her schaukelt. Oder der ICE-Zug, der sich offensichtlich aufgrund eines Radschadens immer im Kreis dreht.
4. Sonnencreme-Spender
Über 90 Prozent der S-Bahnhöfe liegen im Freien. Der globalen Erwärmung sei Dank sind die Sommer heiß und die Sonne scheint ohne Unterlass. Der Vorteil der langen Wartezeiten: Das Geld fürs Bräunungsstudio kann man sich sparen. Der Nachtteil: Sonnenbrand. Der Hautkrebs lässt grüßen.
Aber auch für dieses Problem gibt es eine Lösung. Nach dem Vorbild der Seifenspender in öffentlichen Kloanlagen werden auf den Bahnhöfen pünktlich zum Beginn des Sommerfahrplans Sonnenmilchspender installiert. Der Standort der ein Liter fassenden Behälter steht bereits fest: Am Eingang, direkt neben den roten Fahrscheinentwertungsautomaten. Im Unterschied sind die Sonnenmilchspender in strahlendem Gelb gehalten, mit einer lachenden Sonne als Logo. Abgerundet wird das Ganze von den Werbetafeln hinter den Gleisen, die bislang Reiseveranstaltern wie TUI vorbehalten waren. Fortan grüßt die S-Bahn ihre Fahrgäste dort mit dem Slogan vor palmengesäumten Stränden: "Besser als Karibik".
5. Große Leinwände
Berlin mangelt es sicher nicht an Open-Air-Kinos. Welche mit besonderer Kulisse würden aber immer besucht - vor allem, wenn die Verkehrsanbindung stimmt. Was spräche also dagegen, am Ende der S-Bahnsteige große Leinwände aufzustellen? Die ließen sich auch für eine Liveübertragung aus dem Olympiastadion nutzen, wenn die Hertha-Fans wieder mal auf halber Strecke hängen geblieben sind. Oder für Konzertbesucher, die die S-Bahn nicht mehr rechtzeitig in die Waldbühne gebracht hat.
6. SMS-Service
Man fragt sich, warum der Bahn-Chef nicht schon lange darauf gekommen ist. Es ist so einfach. Viel Ärger wäre ihm erspart geblieben, besonders in den Wintermonaten, wo das Aufstehen in Dunkelheit noch schwerer fällt. Wenn man sich dann mit frisch geduschten Haaren bei Eiseskälte auf dem Bahnhof auch noch die Füße in den Bauch stand, war die Stimmung richtig im Keller.
Aber diese Zeiten sind vorbei, wenn die S-Bahn einen SMS-Service einrichtet. Fahrgäste, die beim S-Bahn-Callcenter ihre Handynummer hinterlassen, werden in Zukunft bis zu 30 Minuten vor der geplanten Abfahrt ihres Zuges informiert, ob der Fahrplan eingehalten wird, oder über die Dauer der Verspätung. Bei Museen mit großem Besucherandrang ist so ein Service schon lange üblich. Aber die Schnellsten waren die bei der Bahn noch nie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste