: Bäume pflanzen fürs Gewissen
Löbliche Ausnahmen: Die Titanic-Reisebüros und Reiseveranstalter Colibri haben klimafreundliche Reisen und Flüge im Angebot. Doch die Nachfragen der Kunden halten sich immer noch in Grenzen
VON CHRISTINA HEBEL
„Was wollen Sie? Klimaneutral reisen?“ Die Angestellte im Reisebüro um die Ecke zieht die Augenbrauen hoch. Nein, das sage ihr nichts, sie schüttelt den Kopf. Eine Straße weiter sieht es ähnlich aus: Nein, es täte ihnen leid, das biete man „nicht direkt“ an. Die Begründung des Reisebüros: Die Veranstalter hätten keine klimaneutralen Flüge im Angebot.
Klimawandel ist eines der zentralen Themen der Internationalen Tourismus Börse (ITB). Bereits im Vorfeld der Messe hatten Politiker zum klimaneutralen Reisen aufgefordert. Denn sie haben endlich erkannt, wovor Experten schon lange warnen: Wenn der Klimawandel schon nicht mehr aufzuhalten ist, kann immerhin die Erwärmung der Erde abgemildert werden. Auf dem Index stehen deshalb Flugreisen, die besonders viel Kohlendioxid freisetzen. Das Klimagas CO2 gilt als Hauptverursacher der Erderwärmung.
Bei vielen Reisebüros und vielen Kunden ist das hingegen noch nicht angekommen. „Es fragt keiner nach klimaneutralen Flügen“, sagt Ilona Paschke, Geschäftsführerin vom Air Travel Reiseservice, der zehn Reisebüros mit dem Namen Titanic in Berlin betreibt. Sie sei „desillusioniert“, sagt Paschke, die Menschen würden oft nicht nachdenken. Zum Beispiel bekam ein Titanic-Reisebüro die Anfrage für einen Flug von Berlin nach Hannover. Weil es keine direkte Verbindung gibt, wollte der Kunde von Berlin nach München, von München weiter nach Hannover fliegen. Das Reisebüro verwies ihn auf die Bahn.
Seit zwei Jahren informierten die MitarbeiterInnen der Titanic-Reisebüros über die Möglichkeit, klimaneutral zu fliegen, sagt Paschke. „Jeder Kunde, der ein Flugticket kauft, bekommt von uns eine Broschüre von Atmosfair mit.“ Dadurch habe der Reisende die Möglichkeit, seine Kohlendioxid-Bilanz zu verbessern und so sein Gewissen sozusagen reinzukaufen.
Denn Atmosfair ist eine CO2-Ausgleichs-Agentur, die den Klima-Ablasshandel organisiert. Der Reisende kann sich auf der Internetplattform berechnen lassen, wie viel Kohlendioxid er durch seinen Flug verursacht und wie viel es kostet, eine vergleichbare Menge Klimagase anderswo in der Welt einzusparen. Diese Summe kann er dann per Mausklick für Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern spenden. Im vergangenen Jahr machten das aber nur 10.000 Reisende, die so klimaneutral flogen. „Für dieses Jahr rechnen wir mit 50.000 klimaneutralen Flügen“, sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von Atmosfair in Berlin. Der Grund: Der Winter sei sehr warm und so würden die Menschen den Klimawandel direkt erleben und langsam umdenken.
Seit inzwischen elf Jahren hat sich Jörg Drews von Colibri Reisen im brandenburgischen Dallgow-Döberitz auf umweltfreundliche Reisen spezialisiert. Damit seine Kunden und jeder Flugreisende guten Gewissens in die Ferne düsen können, lässt der Geschäftsführer Bäume pflanzen. Drews bezeichnet sich selbst als „alter Hase“ der Branche. 800 Kunden – „bunt gemischt, vom Akademiker bis zur Arzthelferin, nicht nur absolute Ökos“ – hatte der Reiseveranstalter im vergangenen Jahr und verzeichnete zum Vorjahr über 50 Prozent Umsatzwachstum.
Pro Flug innerhalb Europas und ans Mittelmeer pflanzt Drews mit Kooperationspartnern 50, bei Flügen nach Afrika, Amerika und Asien 100 und Flügen nach Australien, Neuseeland und Südsee 150 Bäume. Sie wachsen in Nepal in der Annapurna-Region, um CO2 zu binden. „Wir haben auch schon in Deutschland gepflanzt, aber hier kostet ein Setzling ungefähr 5 Euro, in Nepal 10 Cent. Außerdem wachsen die Bäume dort schneller.“
Für Atmosfair-Chef Brockhagen gibt es eigentlich nur eine klimafreundliche Alternative: ganz auf Flugreisen zu verzichten. Dass Brandenburg deshalb einen Boom an Urlaubern verzeichnen wird, glaubt allerdings Raimund Jennert, Geschäftsführer des Landestourismusverbandes Brandenburg, nicht. „Die Menschen werden sich so schnell nicht ändern.“ Am besten für die Kohlendioxid-Bilanz seien Radreisen oder Kanufahrten. „Bei uns auf der Spree kann man sich wie in Kanada fühlen“, sagt Jennert.
wirtschaft und umwelt SEITE 9