■ McCash Flows Orakel: Bärensterben
Nach dem Oktober–Crash an den Börsen durften sich marxistische Wirtschaftstheoretiker endlich einmal wieder - 20 Jahre nach 68 - auf der Höhe der Zeit wähnen: Sie hatten ja schon immer gewußt, daß die Krise des Spätkapitalismus alsbald im finalen Blow–up enden wird. Wenn zur Krise des Dollars und zum Chaos auf dem Weltschuldenkarussell noch ein Börsenkurssturz in dreistelliger Milliardenhöhe hinzukommt, dann muß die Blase doch einfach platzen. Tatsächlich machten nach der eiskalten Dusche am 19. Oktober auch altgediente Finanzakrobaten einen derart debakulösen Eindruck, daß sie sich durchaus für einen satanischen „Kapital“–Kurs und die teuflische Theorie vom Tendenziellen Fall der Profitrate hätten erwärmen können...vier Monate später indessen kann den marxistischen wie allen anderen Krisen– Propheten aus Sicht der Börse keinerlei Interesse und allenfalls Mitleid mit einem zurückgebliebenen Verwandten entgegengebracht werden. Denn was vor zwei Wochen an dieser Stelle noch mit einem Fragezeichen versehen auftauchte - Frühjahrseuphorie - muß bei einem aktuellen Rundblick auf das Börsengeschehen mit Ausrufungszeichen geschrieben werden: Die Börse in Tokyo ist nach steilem Aufstieg nur noch knapp sieben Prozent von ihrem All–Time–High entfernt, der Dow–Jones–Index in Wall Street kletterte in zwei Wochen um 130 Punkte, und die europäischen Börsen melden reihum feste Tendenz. Gar völlig aus dem Häuschen sind Tip–Geber, die irgendwann den Optionsschein der Societe General Belgique empfohlen haben - dank Olivetti– Boß Benedetti, der jede auf dem Markt befindliche SGB–Aktie aufkauft, stieg der Schein, der im Januar für 22 Mark zu haben war, auf mittlerweile 235 DM - über 1.000 acht Wochen. Nun kann aus dieser exzessiven Ausnahme keine Regel abgeleitet werden, aber wenn ein Blue–Chip (Olivetti) für ein anderes Blue–Chip (SGB) das Vierfache des Crash–Kurses hinlegt (Benedetti hat 8.000 belgische Franc pro Aktie geboten, nach dem Crash notierten SGB bei 2.050), dann wirkt das auf die Nachfrage der restlichen Blue–Chips zumindest ansteckend, denn so viel weniger wert als die alte Dame SGB, der (nicht nur) halb Belgien gehört, sind die Daimlers, Philips und Fiats nun auch wieder nicht. Die baissigen Bären jedenfalls starben im vergangegenen Monat rapide aus, und manch haussierender Bulle wagte sich mit kernigen Prognosen in die Schlagzeilen... und die Kurse gaben ihm recht. Kopf hoch, Crash–Propheten, die nächste finale Krise kommt bestimmt!
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