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Bärbel Höhn über deutsche Risiko-Akws"Eine reale Gefahr für die Bevölkerung"

Die grüne Umweltexpertin Bärbel Höhn spricht mit der taz über die alten Atomkraftwerke, die Schwarz-Gelb länger laufen lässt. Und die Aussichten der deutschen AKW-Gegner.

"Neckarwestheim wäre nach dem rot-grünen Atomausstieg nicht mehr am Netz", sagt Bärbel Höhn. Bild: reuters
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Frau Höhn, kann Fukushima auch in Deutschland passieren?

Bärbel Höhn: In dieser Form nicht. Japan liegt in einer extremen Erdbebenzone, hinzu kommt der Tsunami. Allerdings gibt es auch in Deutschland AKWs in Erdbebengebieten, etwa Neckarwestheim. In Japan hat man darauf geachtet, die Atommeiler erdbebensicher zu machen – viel mehr als hierzulande. Insofern gibt es auch hier eine Gefährdung durch Erdbeben.

Also Neckarwestheim dicht machen?

Ja, wie im Atomausstieg vorgesehen. Und man muss die Frage stellen: Sind alle unsere AKWs gegen Erdbeben gesichert?

Angela Merkel will die Kühlsysteme der deutschen AKWs überprüfen lassen. Reicht das?

Das ist naheliegend, aber nicht ausreichend. Es ist auffällig, dass in Japan keine Vorsorge für die Situatio getroffen wurde, dass der Strom komplett ausfällt und es keine Notstromaggregate gibt, die ausreichend lange laufen. Das muss man in Deutschland überprüfen.

Reichen technische Checks, so wie sie Merkel und Westerwelle anstreben, aus?

Nein. Es wird jetzt, wie nach Tschernobyl 1986, weltweit eine kritische Debatte über die Atomkraft geben. Gerade weil die Sicherheitsstandards in Japan sehr hoch sind.

Bild: ap
Im Interview: BÄRBEL HÖHN

BÄRBEL HÖHN , 58, ist stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, unter anderem mit dem Schwerpunkt Umweltpolitik, und war von 1995 bis 2005 Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen.

Worauf muss sich diese Debatte in Deutschland fokussieren?

Auf die alten AKWs, deren Laufzeit Schwarz-Gelb im letzten Herbst um acht Jahre verlängert hat. Die hätten jetzt abgeschaltet werden müssen, jetzt laufen sie weiter. Neckarwestheim wäre ja nach dem rot-grünen Atomausstieg nicht mehr am Netz.

Die Sicherheitsfrage stellt sich vor allem bei diesen alten AKWs. Bei der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung sind 500 Millionen Euro pro AKW für Investionen in Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen. Aber bis jetzt gibt es etwa bei Biblis, noch nicht einmal Pläne. Die versprochenen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen werden nicht angegangen. Das ist eine reale Gefahr in Deutschland. Wir haben ein anderes Szenario als in Japan, aber die alten AKWs sind eine Bedrohung für die Sicherheit der Bevölkerung.

Umweltminister Röttgen redet, anders als Merkel, davon, dass der Wechsel zu Ökoenergien schneller gehen muss. Hat er damit Chancen?

Röttgen wollte ja auch im Herbst kürzere Laufzeitverlängerungen, weil er die Gefahren gerade der alten AKWs sieht. Allerdings ist er mit diesen Argumenten in der Koalition nicht durchgedrungen.

Hat Röttgen nach der Katastrophe in Japan größere Aussichten damit durchzudringen?

Da muss man skeptisch sein. Die Kräfte in Union und FDP, die für die Laufzeitverlängerung sind, werden versuchen die Debatte zu verschieben – bis die Ereignisse in Japan etwas in Vergessenheit geraten sind. Röttgen mag Aufwind bekommen, aber seine Gegner sind stark.

Und wie sind die Aussichten der AKW-Gegner, parlamentarisch und außerparlamentarisch?

Ich bin ganz optimistisch. Es gibt ja mehrere Fronten. Die Bevölkerung reagiert spontan und schnell. Das zeigen die 60.000 Demonstranten am Samstag. Außerdem wird es auch in der CDU Debatten geben. Viele Stadtwerke sind ja CDU-geführt, und die waren gegen die Laufzeitverlängerung, auch weil damit die Monopolstruktur im Energiemarkt betoniert wird. Zudem läuft unsere Klage gegen die Laufzeitverlängerung in Karlsruhe. Und bei der Bundestagswahl 2013 wird der Atomausstieg eine zentrale Rolle spielen. Viele sehen einfach, dass es ein Restrisiko gibt, das niemand ausschließen kann.

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9 Kommentare

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  • S
    Simplicius

    Die japanische Atomwirtschafts-Lobby hatte das öffentliche Bewusstsein in Sicherheitsfragen offenbar so erfolgreich vernebelt, dass unsere deutsche Atomlobby dagegen sich wie ein Waisenknabe ausmacht.

    Keinen Unterschied zwischen hüben und drüben gibts aber, wie Profit Politik am Nasenring führt.

  • Z
    Zafolo

    Wichtig ist neben vielem anderen, dass man die Diskussion verbreitert. Die jüngsten dramatischen Preisanstiege beim Erdöl haben einmal mehr gezeigt, dass wir beim Peak Oil stehen, sich die Ölförderung wohl nicht mehr nennenswert ausweiten läßt und für die Zukunft eine enorme Verteuerung von Energie zu erwarten ist - ein fundamentaler Einschnitt für unsere energiehungrige Industriegesellschaft, deren liebstes Kind das Automobil war.

     

    Dies hilft zwar auch den erneuerbaren Energien, weil die preislich ganz zwangsläufig konkurrenzfähiger werden. Jedoch kann unsere Gesellschaft diesen Wandel nur gestalten, wenn man dem Niedergang der fossilen Technik rechtzeitig ins Auge sieht und sich den bevorstehenden Herausforderungen unverzüglich stellt. Ein radikaler Ausstieg und zielgerichtete und beherzte Maßnahmen zur Verringerung der Ölabhängigkeit sind die Schritte, die es nun zu gehen gilt.

  • A
    Anja

    Unfälle haben häufig nicht nur eine Ursache, sondern es kommt zu einer Verkettung mehrerer unglücklicher Zufälle. Unfälle werden in anderen Branchen genau analysiert, um sie in Zukunft zu vermeiden. Bei der Atomkraft wäre so etwas sehr waghalsig, man muss im Vorraus ALLES einplanen. Es gibt leider keine absolute Sicherheit. In Zeiten des Klimawandels, der Extremtemperaturen, sind solche Szenarien immer weniger vorherseh- und steuerbar -und das nicht nur in Japan. Die Frage ist: sind wir bereit, Umzudenken, uns eventuell einzuschränken, oder beharren wir darauf, den Strom wie bisher zu nutzen, wenn nicht gar zu verschwenden, und das Restrisiko in Kauf zu nehmen?

  • A
    atomfreund

    Jede Technik versagt früher oder später. Es gehört kein besonders hoher IQ dazu sich vorzustellen, daß es nicht nur in der Beherrschung des Vorfalls und seiner Wirkung einen Unterschied ausmacht, ob die Birne auf dem Klo durchbrennt oder ein Atomreaktor.

    Soviel zur „Intelligenz“ der Atomkraft-Nutzung.

    Was die Szenarien angeht, hat man pro Forma nacheinander durchgespielt, was passiert, was zu unternehmen ist, wenn im AKW Störfälle auftreten. Erforschung und Beherrschung multipler Ursachen und Folgen? Fehlanzeige.

    Was ist mit den Menschen, wie viele überleben? Was ist mit denen, die einen solchen Unfall (noch) überleben? Wie sollen diesen Menschenmassen betreut, versorgt und untergebracht werden? Wo sollen sie hin? Wer übernimmt solche gigantischen Aufgaben?

    Diese Andeutung der zu erwartenden Probleme und Aufgabenstellungen verdeutlicht die ganze Verantwortungslosigkeit, die zum Betrieb von Atomkraftwerken gehört.

    Noch schlimmer ist „lediglich“ der Einsatz von Atomwaffen.

  • P
    peripatus

    Ich schlage folgendes vor:

    Merkel beruft ganz schlicht eine Schlichtung mit dem bewährten Schlichter Heiner Geisler und dem Sprecher der Atomlopbby Mappus. Man schlichtet solange , bis die nächsten 2 Landtagswahlen vorbei sind.Dann einigt sich Geisler mit Mappus darauf , daß alte und neue Atomkraftwerke offiziell Brückenkraftwerke (BKW) heißen und grün angestrichen werden.Das hat den Vorteil, daß die BKW's schöner aussehen und gegenüber Angriffen aus der Luft im Sommer besser getarnt sind.Man startet eine Akzeptanzkampagne in den Zeitungen der Springergruppe und bestimmt für die nächsten Monate die geeigneten Teilnehmer in den verschiedenen Talkshows zu diesem Thema.Diejenigen, die jetzt noch gegen die Brückenkraft sind, sind unverbesserliche Kommunisten, LInke, Pazifisten, Quertreiber und Staatsfeinde, die die Medien unterwandert haben,und eine seit 1945 nicht mehr gekannte, beispiellose Hetzkampagne entfacht haben. Man sollte sie am besten allesamt ......................................

  • F
    frank

    Die deutschen Atomkraftwerke sind meines Wissens nicht auf Erdbeben von mehr als 6 Richter ausgelegt. In Basel hat es im Hahr 1356 ein Erdbeben von 6,9 Richter gegeben (soll erst in 2000 Jahren wiederkommen). Die besonders unfeine Art wie Schweiz Frankreich, Tschechien und andere Länder der EU Atomkraft an die Grenze der Nachbarländer zu bauen sollte europaweit und weltweit geächtet werden. Wenn die Dinger so sicher sind, sollen sie doch Ihre Atomkraftwerke in der eigenen Hauptstadt und darin gleich ihre Parlamente unterbringen.

  • M
    Marcus

    Bärbel Höhn kritisiert zu Recht die Verlängerung der Laufzeiten von AKWs durch schwarz-gelb. Sie erwähnt den rot-grünen Ausstiegsbeschluss, um die Errungenschaften von der damaligen rot-grünen Bundesregierung in Sachen Atomausstieg darzustellen. In Wirklichkeit ein Kompromiss über den Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen. Statt fester Abschalttermine zu setzen, wurden in dem sog. Ausstiegsbeschluss den Reaktoren großzügige Reststrommengen zugestanden. Die letzten deutschen Atomkraftwerke sollen sollten frühestens um das Jahr 2023 abgeschaltet werden. Von einem Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft kann also keine Rede sein. Eine Streichung aller Subventionen für die Atomkraft z.B. würde diese sehr schnell unrentabel machen. Man sollte nicht vergessen, dass die Grünen während ihrer Regierungszeit dem Machterhalt ihre Ideale geopfert und die in sie gesetzten Hoffnungen der Anti-Atomkraftbewegung enttäuscht haben.

  • V
    vic

    Merkels "technische Checks" hören sich gut an - für`s Stimmvieh.

    Doch was ist die Konsequenz, wenn Rohrsysteme unter dem Reaktorkern bei diesem Sicherheitscheck durchfallen?

    Allein schon wegen ihres Alters sind bei den meisten deutschen AKWs die Rohrsysteme nicht mehr zulässig. Überprüfen kann man die allerdings nicht,

    und deshalb muss man auch nichts checken.

  • W
    Waage

    Stefan Reinecke hat in diesem kleinen Interview die richtigen Fragen gestellt.

    Frau Höhn antwortet sachlich und entschlossen. Wundert mich nicht - sie hat seinerzeit schon als Landwirtschaftsministerin in NRW gute Arbeit gemacht.