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■ Bad Kleinen und die VideofilmePrivatstaat, neue Lieferung

Die Videokamera wurde in den letzten Jahren ein unentbehrliches Accessoire des deutschen Urlaubsgepäcks. Meist liefert sie zwar nur Verwackeltes, aber ein Videoband ist immer noch besser als Onkel Hans- Ludwigs Dia-Shows. Deutschen Urlaubsgewohnheiten danken wir auch ein Video, das den Augenblick der Berühmtheitswerdung eines mecklenburgischen Kaffs festhält. Zufällig, wenn auch mit zwölftägiger Verspätung, sei es aufgetaucht, erzählt Onkel Hans- Ludwig, und ebenso zufällig sei es auch entstanden. Als die Touristentruppe ratlos auf dem Bahnsteig herumgestanden sei, habe einer zum Reiseleiter gesagt, er habe zufällig seine Kamera dabei. Ob er mal dürfe? Da Zufälle, Würstchen und Ohrfeigen gerne paarweise auftreten, war auf dem Band schon eine Aufnahme, zwei Tage zuvor gedreht, aus gleichem, aber nicht so gelungenem Anlaß. Die hat Onkel Hans- Ludwig geschnitten, „aus Geheimhaltungsgründen“. Auch ein weiteres Video, so unser Märchenonkel, sei ähnlich entstanden. Deutsche Urlaubsgewohnheiten eben, zufälliges, dafür aber echtes Reality-TV.

Sollen nun unsere parlamentarischen Ausschüsse gleich in Mecklenburg tagen, wo laut Bismarck alles hundert Jahre später ankommt? Es würde nicht helfen, da bei Aufklärung die Medien immer noch schneller scheinen als BKA und Verfassungsschutz. Hans-Ludwig Zachert hat ja auch wissen lassen, daß die Tatsachen so lange geheim bleiben müßten, bis er daraus eine präsentable Wahrheit gebosselt habe. Dem pflichten wir aus staatserhaltenden Gründen gerne bei, zumal wir den Staat gelegentlich für ein faktenreiches Fiktum halten, Murphys Gesetz deutlicher unterworfen als irgendwelchen demokratischen. Not bricht Gebot und GSG 9 allemal GG.

Ein Video, auf dem nichts Berichtenswertes zu sehen ist, bringt es an den Tag: Es war nicht Logistik, Amtsgenauigkeit oder sonstwas Staatliches, dem es seine Existenz schuldet. Es war jene beherzte Privatinitiative, der unser Land ohnedies alles verdankt. Vielleicht auch, wenn sich beim Staatstheater schon private Kameras tummelten, gab es da noch eine private Knarre, von der wir nur bislang nichts wissen? Als Rambo wird man doch nicht nur sein Video zum Sportsgepäck legen? Nein, so dürfen wir nicht denken. Singen wir lieber das staatstragende Hohelied der Privatisierung. Der einzelne und sein Eigentum sind vertrauenserweckender als Behörden, die ihr Eigenleben scheinbar demokratischer Kontrolle wehren müssen. BKA, GSG 9 und Bundesanwaltschaft würden, marktwirtschaftlich geführt, mit ihren Verlautbarungen keine Zweifel am Staat provozieren – man könnte ihre Erfolgsmeldungen ebenso milde belächeln wie die der Waschmittelwerbung. Management und Innovationsfreude wären gefragt und all jene Tugenden, die im satten Schatten des Staates bekanntlich verkümmern. Was für Post und Bahn ein Segen, wird sich auch hier bewähren.

Übrigens plant unser Kanzler „einen demonstrativen Besuch“ bei der GSG 9. Er hat ja auch 1990 viele Betriebe in Neufünfland besucht, die später bei der Treuhand landeten. Wird auch jener einst in Mogadischu bekanntgewordene Laden, vielleicht im Verbund mit dem BKA, bei Frau Breuel landen? Hans-Georg Behr

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