piwik no script img

"Bad Boy Bubby"Toxische Dreiecksverhältnisse

Rolf de Heer geht es in seinem Film "Bad Boy Bubby" um nicht weniger als den psychischen Grund des Sozialen.

Rolf de Heers Film ist nicht von der konventionellen Sorte. Bild: bildstörung

Der Mann, der mit seiner Mutter schläft und seinen Vater tötet, heißt: Bubby. Jedoch: Ein Ödipus ist er nicht. Wenn schon eine mythische Figur: dann Kaspar Hauser. Klein ist die Welt, die er kennt, bevor er hinausgeht in die Straßen von Adelaide nach dem unschuldigen Mord an Mutter und Vater. Nie verlässt er zuvor die winzige Wohnung, in der ihn die Mutter wie in einem Kerker gefangen hält. Sie füttert ihn, sie schilt ihn und schlägt ihn, sie schläft mit ihm, sie nimmt die Gasmaske vom Haken und geht raus zur Tür in eine, sagt sie ihm, giftige Umwelt. Bubby (mit hinreißender Präzision gespielt von Nicholas Hope) ist Mitte dreißig und Bubby spricht, wie die Mimesis-Nymphe Echo, nur nach, was ein andrer gesagt hat: Eigene Worte hat er nicht.

Liebevoll tötet er mit Frischhaltefolie seine Katze, liebevoll tötet er mit Frischhaltefolie die Mutter, und den nach Jahrzehnten der Abwesenheit zurückgekehrten Vater tötet er auch. Mit der Sorgfalt des eifrigen Kindes wickelt er ihm die Frischhaltefolie um den Kopf. Jetzt macht keiner mehr einen Mucks.

Dann öffnet Bubby die Tür. Er geht hinaus, das Leben zu lernen. Draußen gerät er an Gute und Böse. Das Drehbuch schickt ihn auf einen nicht immer vorhersehbaren Stationenweg. Von einem Polizisten wird er niedergeschlagen. Im Gefängnis wird er vergewaltigt. Noch einmal wird er töten. Er wird lernen, in den Worten der anderen zu sagen, was ihn bewegt. Rolf de Heers Film "Bad Boy Bubby" ist eine Art Bildungsroman, aber einer der ganz und gar nicht konventionellen Sorte. Krumm sind die Wege, auf denen einer der wird, der er ist. Bubby wird, nie war der Ausdruck weniger Phrase, sich selbst verwirklichen können, nachdem er überhaupt erst gelernt hat, dass er so etwas ist: ein Selbst. Als streunender Mensch läuft er anderen zu. Einer Gruppe von schwer Körperbehinderten.

Er entwickelt eine zärtliche Freundschaft zu Rachael, deren Sprache er als einziger versteht. Das heißt zunächst: zu wiederholen versteht. Und doch ereignet sich etwas in der Nähe zu Rachael. Als einer, der von den Ausgegrenzten aufgenommen wird, öffnet sich Bubby zur Welt. Es beginnt ihm zu dämmern, was er mit den Worten und Körperbewegungen der anderen sagt. Zwar wird er Rachael, die ihn liebt, nicht wieder lieben können. Denn er liebt Angel, die sich wiederum als Objekt des Begehrens in Bubbys Augen erst kennenlernen muss. Zärtlich trauert Bubby mit Rachael um die Unmöglichkeit einer Liebe. Angel gesellt sich dazu. Es geht Rolf de Heer um nicht weniger als den (psychischen) Grund des Sozialen. In "Bad Bay Bubby" werden toxische in lebenswerte Dreiecksverhältnisse transformiert.

Die DVD ist vor etwas längerer Zeit beim jungen Label Bildstörung erschienen. Nicht nur ist diese Edition in jeder Beziehung mustergültig: Herausragende Bildqualität, enge Kooperation mit dem Regisseur, eine ganze Disc mit hoch informativem Bonus-Material. Auch der Rest des Programms zeugt von großer Trittsicherheit auf schwierigem Gelände.

Rolf de Heer: "Bad Boy Bubby" (Australien 1993, 112 Min.). Doppel-DVD mit Bonusmaterial, ca. 20 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • EK
    Ekkehard Knörer

    Sorry, ich war im Urlaub und sehe den Kommentar erst jetzt. Was genau haben Sie einzuwenden? Zugegeben, ich verkürze hier etwas und ganz korrekt wäre Kaspar Hauser vielleicht als "zum Mythos gewordene Figur" zu bezeichnen. Was ich meine ist jedenfalls: Eine Figur, die mehr ist als das, was sie als real existierende gewesen sein mag. Eine, die sozusagen in einen anderen Status übergeht. Insofern ist Kaspar Hauser (über dessen Schicksal ich durchaus Bescheid weiß, weil er nämlich in meiner Heimatstadt ermordet wurde) für mich durchaus der Inbegriff einer mythischen Figur.

  • WH
    Wolfram Heinrich

    "Jedoch: Ein Ödipus ist er nicht. Wenn schon eine mythische Figur: dann Kaspar Hauser."

     

    Äh, Kaspar Hauser ist keine mythische Figur, allenfalls eine geheimnisumrankte Figur (was beileibe nicht dasselbe ist).

     

    Viele Grüße

    Wolfram Heinrich